Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
Stadtplanung, die Bevölkerung vor den Fernsehgeräten zusammenzupferchen, bevor sie am nächsten Tag wieder zur großen Verbesserung der Welt aufbrach. Unweigerlich musste Kuhala bei der Plattenbauarchitektur an die Glanzzeiten der DDR denken, wohingegen ihn die vergitterte Fassadenästhetik des lokalen Einkaufszentrums an die Welt der Gefängnisse erinnerte. Trotzdem konnte auch dieses Viertel Savipelto nicht überbieten.
Die Hauptstraße, die mitten hindurchführte, hieß Keltinmäentie und war so breit, dass man darauf stattliche Siegesparaden hätte veranstalten können. Kuhala drosselte die Geschwindigkeit vor einer Bodenwelle und dachte, für manch einen mochte das hier dennoch die geliebte Heimat sein, und ein anderer titulierte seine Zeit in Keltinmäki womöglich irgendwann einmal als »die gute alte Zeit«.
Er tat allerdings gut daran, seine Spitzfindigkeiten für sich zu behalten, denn es konnte gut sein, dass er hier einen zahlenden Kunden finden würde.
Zwei Tage vor Mittsommer war Keltinmäki zu allem Überfluss auch noch evakuiert worden, wie es schien. Es war niemand zu sehen, und die frischeste Spur menschlichen Handelns – ein umgetretener Abfalleimer an einem Kreisel – wirkte nicht gerade ermutigend.
Kuhala fuhr auf den Parkplatz des Einkaufszentrums. In einer entfernten Ecke jaulte die Alarmanlage eines einsamen Fahrzeugs.
»Kümmere dich nicht darum, Jeri. Das ist nun mal die Tonspur unserer Zeit und unserer Seele.«
Das Etablissement war raffiniert in der dunklen Gasse zwischen dem Supermarkt und einem stillgelegten Jugendtreff platziert. Dort kam man nur aus Versehen hin, sofern man kein Stammgast war. Die Tür stand offen, die vergnügungsdampferrote Einrichtung fing gleich am Eingang an. Auch hier wurde man von dem in jeder Talsenke Finnlands bekannten Geruchscocktail aus Alkohol, Zigaretten und Küchendunst empfangen.
Der professionelle Gast, der sich über den Tresen beugte, bestellte eine Wasserbombe und eine Diapam-Xanor-Valium-Pizza. Der Barkeeper reagierte in keiner Weise auf das Letztgenannte, zauberte aber ein Bier und einen Whisky vor den Mann hin. Dazu nickte er mit dem Kopf, die Gläser, die über ihm an einem Gitter hingen, glänzten in magischem Licht.
»Leck mich, mein Leben ist am Arsch«, bekannte der Gast.
Kuhala passierte die Karaokeanlage und war gleich Feuer und Flamme: Für den nächsten Tag war Mittsommerfeuer-Karaoke angekündigt.
Kai Vikman war der dritte Gast im Lokal. Er saß in der hintersten Ecke der hintersten Loge und hielt das Gesicht im Schatten. Am Rand des Aschenbechers schwelte eine Zigarette, das zweite Bier schien bereits um die Hälfte abgenommen zu haben. Kuhala erinnerte sich an den heftigen Fehlschlag und das furchtlose Auftreten des Mannes auf dem Grundstück neben der Hauswirtschaftsschule. Wie wenig davon jetzt noch übrig war. Am Kinn des ehemaligen Söldners sprossen mehrtägige Stoppeln, das Schelmenlächeln des Frauenhelden war wie weggeblasen.
Nicht einmal den Aschenbecher traf er beim ersten Versuch. Sein Mund stammelte einen Fluch.
Kuhala setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und beobachtete eine Zeit lang das feinmotorische Tasten, bevor er sagte, er sei ganz Ohr. »War nicht leicht, hierherzufinden. Du hast was auf dem Herzen. Wie wär’s, wenn du mich von der Spannung befreist?«
»Ich hab Helena nicht mal mit den Fingerspitzen angefasst. Sinnlos, mich zu jagen, ein anderer hat sie umgebracht.«
»Wer jagt dich denn?«
»Die Polizei. Die haben vor meiner Tür gestanden, aber die brauchen ihre Polizistenzeit nicht mit mir zu vergeuden. Ich weiß nämlich, wer Helena umgebracht hat.«
Vikman beugte sich mit der Zigarette im Mund über den Tisch und kniff eines der beiden blutunterlaufenen Augen pfiffig zu, als hätte er Kuhala gerade einen gut bezahlten Job auf einem Piratenschiff angeboten. Seine Hände zitterten, auf der Stirn schuppte sich die Haut, es war nicht sicher, ob es dem Gast am Tresen beschissener ging als Vikman. Kuhala zögerte die Frage nach Helena Jokelas Mörder noch hinaus, wollte aber wissen, weshalb Vikman floh, wenn die Angelegenheit klar war. »Geh aufs Präsidium und erzähl dort alles!«
»Die glauben mir nicht. Ich kann nichts beweisen, aber Helena ist von ihrem Mann verprügelt worden, und er hat auch auf irgendeine Art für ihren Tod gesorgt, weil er von unserem Verhältnis wusste. Jokela hat jemanden angeheuert oder es selbst getan.«
»Bist du nicht Berufssoldat? Du bist es doch gewohnt,
Weitere Kostenlose Bücher