Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
Kleidung.
Das ist es mir wert, dachte Pippa, wäre doch gelacht, wenn ich bei eurem Katz-und-Maus-Spiel nicht die Oberhand behielte.
In gebückter Haltung schlich sie durch die anderthalb Meter tiefe Betonrinne, immer bemüht, in den glitschigen Pfützen nicht auszurutschen. Dennoch schlitterte sie mehr als zu laufen und suchte immer wieder krampfhaft Halt an der glatten Seitenwand. Der immer stärker fallende Regen setzte ihr zu, aber sie biss die Zähne zusammen.
Sie hielt inne, als sie oberhalb der Rinne ein kreischendes Geräusch hörte, so als schrammte Eisen über Eisen. Pippa überlegte noch, ob sie es wagen sollte, den Kopf hinauszustrecken, als ein lautes Donnern erklang und die Seitenwand unter ihrer Hand spürbar zu vibrieren begann.
Sie blickte hinter sich und sah eine schäumende Wasserwelle direkt auf sich zurasen. Noch während sie begriff, dass jemand das Wehr geöffnet haben musste, riss das Wasser sie mit sich. Ihre Hände tasteten verzweifelt nach Halt, der sich nirgends fand. Sie wurde unter Wasser gezogen, ihre Beine schrammten an der Betonwand entlang, dann wurde sie wieder an die Oberfläche gespült, wo sie kurz nach Luft schnappen konnte und um Hilfe zu schreien versuchte.
Aber die gurgelnden, brodelnden Wassermassen erstickten ihren Schrei und zogen sie wieder hinunter.
Kapitel 20
P ippa hatte keine Ahnung, wie weit sie schon mitgerissen worden war oder wie lange ihre Rutschpartie bereits dauerte. Sie kämpfte wütend und verbissen gegen ihre Erschöpfung an. Das Schicksal konnte unmöglich vorgesehen haben, dass sie kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag in einer französischen Wasserrinne ertrank. Schon allein um den außer Rand und Band geratenen Didier-Bengeln gehörig die Ohren langziehen zu können, mobilisierte sie ihre letzten Kräfte. Dem Steinhagel auszuweichen war schon kein Spaß mehr gewesen, aber dass ausgerechnet jetzt auch noch der Wasserwart das Wehr öffnen musste, ließ sie an ihrer gerade erwachten Sympathie für die Schwarzen Berge zweifeln.
Die donnernden Fluten schleiften sie unbarmherzig weiter durch die Betonrinne, als Pippa sah, dass sie sich einer Brücke näherte.
Jetzt oder nie, dachte sie und streckte die Arme aus. Sie umklammerte den eisernen Brückenpfeiler, und die rasende Rutschpartie stoppte mit einem heftigen Ruck.
»Au, verdammt!«, schrie sie, denn es fühlte sich an, als würden ihr die Arme aus den Schultergelenken gerissen. Die Seitenteile der Eisenpfeiler machten der hiesigen Schmiedekunst alle Ehre, sie waren mit verschnörkelten Rosenblüten, -ranken und -blättern verziert.
Pippa schaffte es, Hände und Füße in die Aussparungen zu stecken, und konnte endlich einen Moment lang verschnaufen, während das Wasser nun vergeblich an ihr zerrte. Um sich eine noch sicherere Position zu verschaffen, schob sie sich langsam zwischen Pfeiler und Rinnenwand und konnte ihre schmerzenden und verkrampften Arme und Beine etwas entlasten.
Minuten dehnten sich zur Ewigkeit, aber endlich floss das Wasser deutlich ruhiger, und sie wagte sich aus ihrer Deckung. Sie benutzte die Verzierungen des Brückenpfeilers, um sich hinaufzuziehen und aus der Rinne zu klettern.
Völlig erschöpft ließ Pippa sich am Ufer auf den Rücken fallen und schloss die Augen. Jetzt schlafen, nur schlafen, dachte sie müde.
Sie spürte, wie sie langsam wegdämmerte, und zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Mittlerweile war es stockfinster geworden, und sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Mühsam rappelte sie sich auf und stand schwankend in der Dunkelheit. Ihre Kleidung war verdreckt und zerrissen, und sie fror am ganzen Körper. Sie musste unbedingt ins Warme, und das so schnell wie möglich.
Langsam setzte sie sich in Bewegung und folgte einfach dem Weg.
Wie ein Automat setzte sie Schritt vor Schritt, noch immer zitternd vor Schock und Angst, aber angetrieben von purem Überlebenswillen. Beinahe glaubte Pippa an eine Halluzination, als sie nach der nächsten Wegbiegung ein Natursteinhaus erblickte, aus dessen Fenster ihr einladendes Licht entgegenschien. Vor Erleichterung kamen ihr die Tränen, als sie das Schild an der kurzen Auffahrt las: Willkommen im Paradies .
Pippa betrat den Hof, als plötzlich mehrere Lampen aufflammten und ihr den Weg wiesen. An der Haustür hing eine alte Schiffsglocke; sie lärmte ohrenbetäubend, als Pippa sie anschlug.
Zweifelnd sah sie an sich hinunter. Ihr Äußeres war nicht gerade vertrauenerweckend: Ihre Kleidung starrte vor Dreck,
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