Tote Fische beißen nicht: Ein neuer Fall für Pippa Bolle (German Edition)
schweren Korb, in dem sich leere Schüsseln und Teller stapelten. Ohne erkennbaren Kraftaufwand hievte er ihn mit einem Schwung ins Auto.
»Bruno, wirklich, wenn du lieber mitfahren möchtest …«, bot Pippa noch einmal an.
»Keine Angst, Bruno, der Weg ist leicht zu schaffen«, sagte Schmidt, der in diesem Moment dazukam, »wir nehmen den kürzesten Weg hinunter, über die großen Trittsteine. In wenig mehr als einer halben Stunde sind wir unten im Lager.«
» Du, Wolle, du bist dann im Lager«, erwiderte Bruno düster.
Pippa sah den Kiemenkerlen nach und atmete tief durch.
Werde ich mit den Jahren immer weniger menschenkompatibel, oder sind die Kiemenkerle einfach besonders anstrengend?, dachte sie. Komisch, und ich habe geglaubt, ich bin durch die Transvaalstraße abgehärtet.
Sie genoss die Ruhe, die sich einstellte, als das Geplapper der Gruppe im Wald verklang. Nur das einschläfernde Gurgeln des Baches und Vogelgezwitscher waren noch zu hören. Erst jetzt merkte sie, wie müde sie nach der durchwachten Nacht und den Turbulenzen dieses Tages war. Sie setzte sich auf eine der Bänke am Tisch der Grillhütte, legte die Arme auf die Tischplatte und bettete ihren Kopf darauf.
Nur ein paar Minuten, dachte sie, und schon schlief sie tief und fest.
Sie erwachte, als eine heftige Windböe durch die Grillhütte fuhr. Große Regentropfen klatschten lautstark auf das Dach. Verwirrt blickte Pippa auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass sie mehr als eine Stunde geschlafen hatte. Dennoch passte die Dämmerung nicht zur Uhrzeit, aber ein Blick in den Himmel zeigte eine dichte Wolkendecke, aus der es immer stärker regnete. Das zuvor so einladend frische Grün des Waldes wirkte jetzt dunkel und undurchdringlich.
Pippa trat unter dem Dach hervor und zog unwillkürlich den Kopf ein, als dicke Regentropfen sie trafen.
Da sie keine Lust hatte, in tiefer Dunkelheit ins Tal fahren zu müssen, trotzte sie tapfer dem Regen und sprintete einige Male zwischen der Hütte und dem Auto hin und her, bis alles verladen war. Dann machte sie noch einen letzten Kontrollgang über das Gelände, um vergessene Gegenstände einzusammeln, aber sie fand nicht einmal Schwätzers Angel, obwohl sie sich genau erinnerte, dass er sich ohne sein Equipment auf den Heimweg gemacht hatte.
Das ist nun wieder ein netter Zug, dass die Jungs ihm den Kram hinterhertragen, dachte Pippa. Ich wette, das war Bruno.
Sie sah sich ein letztes Mal um und ging zum Grill, um sich zu vergewissern, dass er ordnungsgemäß gelöscht war. Ein vergessenes Geschirrtuch lag auf der Ablage, und als sie es hochnahm, entdeckte sie Gerald Remmertshausens Smartphone.
»Oho«, sagte Pippa verblüfft, »Gerald hat bestimmt schon bemerkt, dass er nackt herumläuft.«
Sie steckte das Telefon in die Hosentasche und lief hinüber zu dem alten Wellblech-Lieferwagen, der unter einem so dichten Blätterdach hoher Bäume stand, dass bisher kaum ein Regentropfen bis zu ihm vorgedrungen war. Sie kletterte auf den Fahrersitz und starrte ratlos auf das übersichtliche Armaturenbrett des Wagens. Es gab zwar nur wenige Knöpfe – aber welcher war der für die Scheibenwischer? Pippa probierte einen nach dem andern aus. Als sich schließlich zwei metallene Stummel kreischend über die Windschutzscheibe bewegten, fuhr sie erschrocken zusammen. Offenbar hatte sie zufällig den richtigen Schalter erwischt, aber die Scheibenwischer waren abgebrochen.
»Na super – offensichtlich muss der Markt in Revel bei Regen ohne Ferdinand auskommen. Der feine Herr fährt wohl nur bei Sonnenschein«, fluchte sie und startete den Motor.
Vorsichtig steuerte sie den Wagen im Schritttempo den Waldweg hinunter. Sie konnte durch den strömenden Regen kaum etwas sehen und rumpelte immer wieder durch Schlaglöcher. Ihr brach der Schweiß aus, und sie wünschte sich sehnlichst Bruno zurück ans Steuer. Angestrengt spähte sie durch die tropfnasse Scheibe.
Plötzlich knallte es, und sie verriss das Lenkrad. Der Wagen rutschte zur Seite weg, nahm wieder Fahrt auf und landete mit einem harten Ruck an einer riesigen Buche.
Starr vor Schreck schloss Pippa für einen Moment die Augen, um sich wieder zu sammeln.
»Pascal, mein Lieber«, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen, »das stellt unsere junge Liebe jetzt auf eine harte Probe.«
Sie kletterte aus dem Lieferwagen, um sich den Schaden anzusehen. Die imposant vorstehende Nase des Citroëns glich jetzt der eines Boxers nach verlorenem Kampf.
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