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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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seinen Plan genannt. Es war ein Höllentrip! Die Einzeletappen zwischen den Doppeletappen seien quasi Ruhetage.
    Edgar schloss die Augen. Sieh es als Meditation, sagte er sich, als Pilgerreise, als innere Einkehr, als Reise ins Ich! Der Weg ist das Ziel.
    Er blinzelte auf seine Armbanduhr und fuhr hoch. Er musste eingeschlafen sein. Wenn er noch etwas essen wollte, musste er sich beeilen. Die Küche war nur bis 22 Uhr geöffnet. Und weiter als hinunter ins Hotelrestaurant würde er nicht mehr gehen wollen, dachte er, als er nach seiner Brille langte. Immer noch ohne geduscht zu haben, aber in sauberen Jeans, frischem Hemd und Straßenschuhen sah er kurz darauf einigermaßen manierlich aus.
    Im Restaurant waren alle Tische besetzt, eine Busladung Holländer war eingetroffen, und eine Kellnerin – eine stämmige, junge Person – fragte Edgar höflich nach seiner Zimmernummer und ob es ihm etwas ausmachen würde, drüben am Tisch der jungen Frau Platz zunehmen.
    Sie blätterte in der Speisekarte und sah kurz auf, als sie seine Blicke spürte. Sie war auf eine unauffällige Art hübsch und hatte ein offenes, unkompliziertes Gesicht. Edgar schätzte sie auf Mitte zwanzig. Sie trug ihr blondes Haar in einem Pferdeschwanz, der über ihre linke Schulter hing. Sofort erklärte er sich einverstanden. Die Kellnerin fragte sie, ob es ihr ebenfalls recht sei. Sie nickte. Und so steuerte Edgar ihren Tisch an.
    »Erster!«, sagte sie, ehe er sie begrüßen konnte.
    »Gratuliere«, meinte er, wunderte sich und ließ sich ihr gegenüber nieder.
    Man musterte einander. Edgar zog sein Hemd glatt und strich sich übers Kinn. Es kratzte. Er fuhr sich durch die Haare. Sie hatten im feuchten Wetter alle Fasson verloren. Er hätte seine Brille putzen sollen, die Durchsicht war fleckig. Und er hätte vor dem Essen duschen sollen.
    Sie war ungeschminkt, ihre Wangen vom langen Tag in der Frühjahrssonne gerötet. Sie trug eine karierte Wanderbluse und Schmuck, und davon jede Menge. Zwei, drei Armbänder, eine elegante Uhr, Ringe – von denen keiner ein Ehering zu sein schien – eine Halskette und Ohrstecker.
    Die Kellnerin brachte ihm eine Speisekarte. »Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?«
    »Für mich Eifeler Landbier«, sagte Edgar schnell.
    »Für mich auch, bitte«, bestellte sein Gegenüber.
    »Wir haben nur Bitburger.«
    »Oh«, maulte Edgar enttäuscht, während die junge Frau einverstanden war.
    »Und Weizen«, stellte sie in Aussicht.
    »Perfekt«, rief Edgar und hatte sich schon von der Enttäuschung erholt.
    Kaum war die Kellnerin abgezogen, stellte Edgar sich vor. Den Doktortitel ließ er weg. Er wollte keinen Eindruck auf die junge Frau machen. Er wollte bloß eine nette Unterhaltung beim Essen haben und sonst nichts. Und danach tief und fest schlafen.
    »Helena Finn«, sagte sie und nickte lächelnd.
    »Oh, die schöne Helena«, meinte er.
    Sie verdrehte die Augen. Gut, dachte Edgar, das war nicht gerade originell, obwohl es stimmte, aber nach 41 Kilometern kann man keine intellektuellen Höchstleistungen mehr verlangen. Auch nicht von einem Doktor der Medizin.
    Man vertiefte sich ein wenig verlegen in die Speisekarte und blätterte schweigend hin und her. Als die Getränke kamen, hatte man sich entschieden. Edgar nahm Hirsch, Helena Lamm. Und man prostete sich zu.
    »Auf 41 Kilometer«, sagte Edgar und hob sein Glas an.
    »Auf 24!«, korrigierte sie ihn.
    Edgar nahm einen großen langen Schluck und goss noch einen hinterher, ehe er antwortete: »Ich komme geradewegs aus Roetgen.«
    »Ich aus Monschau.«
    »Ich bin in aller Frühe losmarschiert.«
    »Ich erst gegen Mittag.«
    Nachdem Helena sich von dem Schock erholt hatte, dass er eine Doppeletappe gegangen war, ohne dass sie nach dem Wieso und Warum gefragt hatte, kamen sie zu dem Schluss, dass sie sich unterwegs vielleicht nur knapp verpasst haben mussten, was sie beide ausgiebig bedauerten. Helena hatte in Roetgen im gleichen Hotel übernachtet wie Edgar, allerdings einen Tag vor ihm. Das Lunchpaket, das das Hotel gepackt hatte, war ähnlich gewesen. Sie hatten sich beide gewundert, wie wenige Wanderer sie unterwegs getroffen hatten. Hinter vorgehaltener Hand gab Helena zu, dass sie sich unterwegs die eine oder andere Abkürzung gegönnt hatte.
    »Das durfte ich leider nicht«, bedauerte Edgar und erzählte ihr von der Wette mit seinem Freund. Sie war eine Fremde, die er nie wiedersehen würde, er konnte ruhig ein wenig darüber plaudern.
    »Um was haben Sie

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