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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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genug Wasser von oben. Für Bänke mit oder ohne Aussicht, Eifelblicke oder Infotafeln am Wegesrand hatte er keine Zeit. Er sprang über einen Kiefernast, der offensichtlich von Wildschweinen angenagt worden war. Aufgewühlte Erde und Hufspuren zeugten von einer Versammlung der besonderen Art.
    Auch den Eifelblick Wolfshügel ließ er links liegen und erreichte kurz darauf eine Lichtung, in die zwei weitere Wege mündeten. Eine große Kreuzung. Laut Wegweiser führte der rechte Weg nach Hellenthal und Erkensruhr, der linke nach Vogelsang, Ruhrberg und Einruhr. Nur noch 0,7 km bis Einruhr.
    Edgar blieb kurz stehen, legte die Hände um den Mund und rief in den Wald hinein: »700 Meter bis Einruhr!«
    Ein schwaches Echo kam zurück. Er fotografierte den Wegweiser, ehe er links abbog. Der Weg wurde schmaler und steiler. Aus dem Tal drangen die ersten Straßengeräusche zu ihm herauf. Reifen auf nassem Asphalt. Am Wegesrand standen ein paar Ginsterbüsche, die zaghaft blühten.
    Nach einer Kurve machte Edgar den spitzen Turm der Dorfkirche von Einruhr ausfindig und spürte plötzlich Hunger und Durst. Richtigen Kohldampf und Schmacht auf ein großes Bier hatte er.
    Er begann zu laufen, stieß mit dem Kopf an einen Zweig, dessen Höhe er unterschätzt hatte, stolperte, blieb an einem Brombeerzweig hängen und rutschte aus. Irgendwo im Dickicht knackte ein Ast, und es raschelten Blätter.
    Bald wanderte Edgar auf halber Höhe ein Stück parallel zur Landstraße, mitten durch eine Sitzgruppe aus gelb gebeiztem Holz und steil an einem Geländer entlang bergab. Als er kurz zurückblickte, glaubte er zwischen Fels und Geländer zu sehen, wie eine Gestalt aus dem Wald trat. Er blinzelte, wischte über seine verregnete Brille, aber der Schatten war schon wieder verschwunden.
    Weiter ging es über felsigen, rutschigen Untergrund, Wurzeln und kleine Kiesel, in Serpentinen bergab. Endlich hatte er die Höhe des Sees erreicht. Vor ihm lag die Fußgängerbrücke über die Rur. Über eine Verkehrsinsel ging er in den Ort hinein. Vom Kirchturm läutete es sechs Mal, als er das Ortseingangsschild passierte. Uhrenvergleich. 18 Uhr. Edgar nickte stolz. Er war gut in der Zeit. Aber erst wenn er den Hotelstempel hatte, konnte er wirklich aufatmen.
    Auf der Rurstraße befanden sich hinter dem Ortseingangsschild eine Grillstube und eine Bushaltestelle. Von hier fuhr der SB 63 nach Gemünd, Edgars nächstem Etappenziel. Morgen. Aber nicht im Bus, sondern zu Fuß. Aber morgen musste er wenigstens keine Doppeletappe laufen. Morgen galt es nur schlappe 21 Kilometer hinter sich zu bringen. Ein Kinderspiel.
    Einruhr war ein kleines Nest. Edgar kam an einem kleinen Platz vorbei, einem kleinen Antiquitätenhandel und einer kleinen Pension, die kleine Zimmer mit Frühstück anbot. Die Kirche war wuchtig und aus Bruchstein gebaut. Hier verließ Edgar für heute den Eifelsteig mit einer Mischung aus Widerwillen und Erleichterung.
    Das Hotel, in dem Lutz ein Zimmer für ihn reserviert hatte, hieß   Seeadler   und lag in der Nähe des Obersees. Es war ein großer Komplex, der mit einer freundlichen, hellblauen Farbe gestrichen war.
    Dr. Edgar Schramm marschierte die Stufen empor, Glastüren öffneten sich vor ihm. Er trat an die Rezeption, die nicht besetzt war, zog seinen Brustbeutel unter dem Poncho hervor, entnahm ihm einen Stift und seine Stempelkarte, auf der alle Stationen, die er während seiner Wanderung anlaufen musste, vermerkt waren. Er notierte neben dem Namen des Hotels die Uhrzeit seines Eintreffens und ließ seine Hand auf die bereitstehende Klingel fallen. Es vergingen Minuten, während sich um ihn herum eine Wasserlache bildete.
    Der herbeieilende Rezeptionist blieb wie angewurzelt stehen. Er schlug die Hand vor den Mund und riss entsetzt die Augen auf. »Wir haben kein Zimmer mehr frei!«, stieß er hervor und machte einen Schritt in Richtung Telefon.
    »Aber ich habe reserviert«, sagte Edgar mit rauer Stimme.
    »Das kann nicht sein ...«, der Mann ließ seine fassungslosen Blicke immer wieder von Edgars tropfender Kapuze, über seinen mannsgroßen Wanderstock bis zu seinen dreckigen Stiefeln wandern. »Ich rufe mal meinen Chef, der, der, der … ich, ich, ich ...«
    Edgar folgte seinen Blicken und verstand endlich das Entsetzen des Rezeptionisten. Er musste furchterregend aussehen. »Warten Sie!« Er lehnte den Wanderstock an die Theke, warf die Kapuze zurück, zog den Regenponcho über den Kopf und ließ ihn neben sich fallen, wie

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