Tote gehen nicht
wir selten. Die Meisten sind froh, wenn wir weg sind.« Er öffnete die Handtasche des Opfers, kramte die Geldbörse hervor und zeigte Sonja ein kleines Bündel Geldscheine, eine EC-Karte und eine Kreditkarte. »Um Geld ging es jedenfalls nicht.« Weiter fand er einen Schlüsselbund und ein Handy, das ausgeschaltet vorerst nutzlos war. Der Personalausweis wurde gedreht und gewendet und in einen Beweisbeutel gesteckt. »Verdammt«, fluchte er. »25 Jahre war sie erst.«
»Ich muss einen Angehörigen anrufen«, sagte Sonja, biss auf ihren Strohhalm und trommelte ungeduldig mit den Fingerkuppen an den Türrahmen.
Krings reichte ihr den Personalausweis der Toten und eine Visitenkarte. Die beiden Familiennamen schienen keine Verwandtschaft aufzuweisen.
»Egal«, meinte Sonja. »Irgendwo müssen wir anfangen. Kann ich die Karte behalten?
»Klar«, sagte Krings und nahm den Personalausweis wieder an sich. »Ich mache Ihnen unten im Büro eine Kopie.«
»Können Sie mal kommen?«, rief Signon in diesem Augenblick und winkte Sonja zum Balkon, um ihr die Besonderheit dieses Zimmers zu zeigen. »Es gibt zwei Möglichkeiten. Der Täter war schon im Hotel oder aber er kam von draußen. Von drinnen hat er einfach die Zimmertür geöffnet. Wenn er aber von draußen kam, hat er die Notfalltreppe genommen. Entweder kam er durch die Notfalltür in den Flur und ging von dort aus durch die Zimmertür oder er kam direkt durch diese Balkontür hier in ihr Zimmer. Keine der Türen war verschlossen.«
Sonja entdeckte eine zertretene, halb aufgerauchte Zigarette, die am Fuß der Treppe lag, und bat Signon, sie einzusammeln.
»Lucky Strike«, sagte er, bevor er die Kippe in einen Beweisbeutel steckte.
Als Krings mit der Kopie des Personalausweises zurückkam, sagte er, dass er sich nun das Zimmer von Dr. Edgar Schramm vornehmen würde.
»Wer ist das denn?«, fragte Sonja verwundert.
»Er ist doch unser dringend Verdächtiger!«
»Das Ungeheuer hat einen Namen?«
»Welches Ungeheuer?« Signon zog die Augenbrauen hoch.
»Moment mal!«
Ein paar Sätze weiter und Sonja wusste, dass Roggenmeier sie auf ein Ungeheuer angesetzt hatte, von dem er längst wusste, dass es nichts als eine Zeitungsente gewesen war.
Später zogen Krings und Signon mit ihren Koffern und Beuteln ab und versprachen, ihre Ergebnisse umgehend nach Euskirchen zu schicken.
Sonja blieb allein zurück. Das Zimmer war wie gemacht für einen Überfall, dachte sie, als sie in das Gesicht der Toten blickte. Helena Finn hatte um ihr Leben gekämpft. Schürfwunden auf Nase, Wange, Stirn und Kinn sowie die aufgerissene Unterlippe zeugten davon. Sie musste im Schlaf überrascht worden sein, oder der Täter war ihr kräftemäßig überlegen gewesen – es war nicht so einfach, einen gesunden, jungen Menschen zu ersticken. Die mögliche Tatwaffe – das Kopfkissen – war auf dem Weg in die KTU Bonn, KK 15.
Sonja überlegte, die Leiche freizugeben und in die Rechtsmedizin nach Köln überführen zu lassen. Aber auf der Visitenkarte stand eine Kölner Adresse nebst Telefonnummer. Auch Frau Finn hatte laut Personalausweis in Köln gewohnt. Ein Angehöriger – falls sie ihn telefonisch erreichte – hätte in einer guten Stunde vor Ort sein können. Eine Identifikation in einem Hotelzimmer kam ihr menschlicher vor, als die im kalten Keller einer Rechtsmedizin. Sonja wählte die Kölner Telefonnummer, und eine gut gelaunte Frauenstimme meldete sich.
»Anna Grund?«, vergewisserte sich Sonja.
»Ja.«
Sonja stellte sich vor und fragte, ob sie vielleicht eine Helena Finn kenne.
»Das ist meine Tochter. Warum?« Die Stimme wurde ernst.
Sonja schluckte. »Dann muss ich Sie bitten, so schnell wie möglich hierher zu kommen.« Sie gab die Adresse des Hotels durch.
»Was ist denn passiert?«
Sonja zögerte. »Bitte kommen Sie. Sofort. Aber fahren Sie vorsichtig.«
Welch alberner Ratschlag an eine Mutter, die davon ausgehen musste, dass ihrer Tochter etwas zugestoßen war. Sie beugte sich über die Tote. zog die Bettdecke hoch, bis sie das Gesicht bedeckte, schloss das Hotelzimmer leise ab und steckte den Schlüssel ein.
Sonja bat Weckmann ihr ein ruhiges Zimmer zur Verfügung zu stellen. Er führte sie und Sarah Neroth in sein Büro, wo drei seiner Mitarbeiter im Stehen aufgereiht warteten. Zwei Frauen, die er als Kellnerin und Zimmermädchen vorstellte, als hätten sie keine Namen, und ein Mann, Wilfried Mengen, den Empfangschef, der die Polizei Euskirchen angerufen
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