Tote gehen nicht
war mein Mann.« Sonja und Sarah blickten sie fragend an. »Das war ihr Stiefvater.«
Anna Grund setzte sich auf die Bettkante, legte eine Hand mit einer zärtlichen Geste auf die Beine ihrer Tochter und gewährte den Polizistinnen einen kleinen Einblick in ihr Familienleben.
Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie und war in ihrer ersten Ehe mit Heinrich Finn, einem Schuh-Fabrikanten in dritter Generation aus dem rechtsrheinischen Köln-Mülheim, verheiratet gewesen. Heinrich Finn hatte in seinem Testament festgelegt, dass nach seinem Tode und dem seiner geliebten Frau Anna ihre einzige Tochter Helena Alleinerbin sein sollte. Was immer auch geschehen möge, auch und insbesondere wenn seine geliebte Frau Anna nach seinem Tode noch einmal heiraten sollte. Was Anna zum damaligen Zeitpunkt selbstverständlich weit von sich wies. Weder Anna noch Helena durften die Firma jemals verkaufen, höchstens die Leitung in kompetente Hände geben. Das hatte Anna nach seinem Tod im Jahre 2001 getan. Der auserkorene, kompetente Mann war ein gewisser Klaus-Peter Grund, der schon zu Heinrichs Lebzeiten in der Abteilung Marketing im Betrieb sehr erfolgreich tätig gewesen war. Die gemeinsame Last des Erbes brachte sie einander näher. Liebe und Gewinnstreben verband sie. Und vor drei Jahren, 2007, als der alte Heinrich Finn sechs Jahre tot und die kleine Helena nicht mehr klein, sondern 22 Jahre alt war, da wurde geheiratet. Und zwar ohne Ehevertrag, das war auch nicht nötig, denn Anna hatte Helena ein Vermächtnis gemacht. Nicht durch einen Zufall erfuhr Klaus-Peter Grund von diesem Vermächtnis, sondern durch Lara Koch. Die kleine Bankangestellte, die er ein paar Mal ausgeführt, verwöhnt und beschenkt hatte, hatte ihren kleinen, roten Schmollmund nicht halten können. Annas Vermächtnis machte ihn, den vermeintlich reichen, zu einem armen Mann. Nach Annas Tod erbte Helena nicht nur die Firma, sondern auch sämtliches Barvermögen, alle Immobilien und die riesige, todschicke Eigentumswohnung im Gereonsviertel in Köln.
»Wenn das kein Motiv ist«, fügte Anna Grund hinzu und erhob sich.
»Wusste er denn, dass seine Stieftochter hier in Einruhr war?«, fragte Sonja.
»Bestimmt«, behauptete Anna Grund und erklärte, dass das Verhältnis zwischen Helena und ihrem Stiefvater eng und fast brüderlich gewesen sei. Er sei nur knapp vierzehn Jahre älter als sie, sei mit ihr ins Kino und in die Disco und Shoppen gegangen. »Er ist einer von diesen Männern, die nicht alt werden.«
HK Sonja Senger nickte zögernd. Ein bisschen vordergründig und naheliegend kam ihr die Geschichte vor. Fast ein bisschen zu einfach, aber es hatten schon ganz andere für weniger gemordet. Und verdächtigt. Vielleicht war es ganz anders. Vielleicht wollte Anna Grund Klaus-Peter auf diese Art und Weise loswerden. Ihre Ehe hörte sich nicht gerade leidenschaftlich an. Sonja versprach, dem Hinweis nachzugehen, und berichtete andererseits, dass es einen weiteren Verdächtigen gebe, den sie vermutlich heute Abend noch befragen könnten. Einen gewissen Dr. Edgar Schramm, dessen Name Anna Grund aber noch nie gehört hatte.
Sie hatten sich schon verabschiedet, als Anna Grund Sonja beiseite nahm und fragte: »Kann ich mitkommen?«
»Wohin?«
»Ich ... ich könnte doch dabei sein, wenn Sie den anderen befragen, falls ... ich will den Mörder meiner Tochter sehen und ... ach, ich kann jetzt einfach nicht nach Hause.«
Als Sonja Senger, Sarah Neroth und Anna Grund am Nachmittag im Kriminalkommissariat in Euskirchen eintrafen, blieb Sarah vor der Eingangstüre zurück, um eine Zigarette zu rauchen. Sich neben sie zu stellen und auf einem Strohhalm zu kauen, fand sie albern, sie ließ sie stehen und rief ihr zu: »Nach dem letzten Zug setzen Sie bitte das Verhörprotokoll auf.«
Sonja forderte Anna Grund, die ihr wie ein Schatten folgte, auf, im Flur zu warten. Sie zeigte auf einen der Holzstühle, aber Anna zog es vor, zu stehen. Sie schien deplatziert in ihrem eleganten Kostüm und den feinen, seidenen Strümpfen.
Sonja betrat ihr Büro und stellte fest, dass die Kollegen Brummer und Neugebauer aus Bonn inzwischen eingetroffen sein mussten, denn sie hatten ihre Stammplätze in Sonjas Büro bezogen. Sie hatten die Akten von ihren Schreibtischen geräumt und zu beachtlichen Türmen auf dem Fußboden gestapelt. Sie hatten die Monitore der Rechner verstellt. Sie hatten sich Kaffee gekocht und ihre Tassen nicht gespült und abgestandene Luft hinterlassen. Sie
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