Tote gehen nicht
abgeschlossen, zuerst den Notarzt angerufen und dann die Polizisten. Bis zu dem Augenblick, in dem die Kommissarin ihn anbrüllte, fand er, dass er alles richtig gemacht und Anspruch auf Lob und Unterstützung hatte. Das schien die Kommissarin anders zu sehen.
»Warum in drei Teufels Namen haben Sie sich nicht seinen Personalausweis zeigen lassen?«, brüllte Sonja Senger.
»Er war ein sehr netter Mann. Sehr höflich und zuvorkommend. Sein Ausweis war irgendwo in seinem Rucksack verkramt. Außerdem war ich ziemlich müde, und er auch, weil ...«
»Und heute Morgen?«
»Da hat mein Telefon gerade geklingelt, als ...«
Die streitenden Parteien verstummten pietätvoll, als Anna Grund in einem Leichensack aus dem Foyer getragen wurde. Die Hauptkommissare Brummer und Neugebauer hielten die Türen auf.
Sonja hatte den Witwer und angeblichen Mörder, Klaus-Peter Grund, noch nicht benachrichtigt. Sie wollte in sein Gesicht sehen, wenn sie ihm von der Art und Weise berichtete, wie Ehefrau und Stieftochter, Helena Finn und Anna Grund, hatten sterben müssen. Damit hatte sie ihn auch der Chance beraubt, seine Frau in einem Hotelzimmer identifizieren zu können. Er würde es in den nächsten Tagen in der Rechtsmedizin Köln hinter sich bringen müssen, wo auch seine Stieftochter lag.
Der Notarzt verabschiedete sich mit der Information, dass er den Todeszeitpunkt zwischen 23 Uhr und 2 Uhr ansiedele. Die Spurensicherung brauchte noch Zeit, denn sie hatte auch Zimmer 24, in dem Martin Sonntag genächtigt hatte, zu untersuchen. Sonja hatte zufrieden registriert, dass die KTU Bonn wieder Krings und Signon, die sie von Einruhr kannte, entsendet hatte. Sie wussten, worauf sie achten mussten.
»Herr Thelen, haben Sie Martin Sonntag und Anna Grund zusammen gesehen?«, setzte Sonja Senger das Verhör fort, nachdem der Leichenwagen und der Wagen des Notarztes den Parkplatz verlassen hatten.
»Ja«, gab er zu, »aber nur ganz kurz, als ich meine letzte Runde durchs Hotel machte, das mache ich jeden Abend, bevor ich schlafen gehe, ich sehe nach, ob alles in Ordnung ist und ...
»Fassen Sie sich bitte kurz!«
»Da stand sie vor seiner Tür.«
»Und?«
»Er hatte sie wohl geweckt, weil er so lange geduscht hatte. Ich habe Ihnen eine gute Nacht gewünscht.«
»Und sonst?«
»Was und? Sie sind erwachsene Leute und meine Gäste, was erwarten Sie von mir?«
»Okay.« Sonja seufzte. »Wissen Sie wenigstens, wohin Ihr Gast heute geht?«
»Nach Einruhr, hat er gesagt, glaube ich.«
»Das kann nicht sein!« Sonja wandte sich ihren Kollegen zu und machte eine Grimasse. Neugebauer gab ihr mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie sich beruhigen solle, und bat Thelen um ein Zimmer, in dem sie arbeiten konnten.
Thelen führte sie ins Souterrain in den Frühstücksraum und brachte ihnen Kaffee und Tassen, Milch und Zucker. Mit Brummers Worten: »Wenn wir Sie brauchen, rufen wir Sie«, wurde er entlassen.
Brummer faltete eine Karte vom Eifelsteig auseinander. Ein Leporello.
»Warum bist du denn so …«, Neugebauer suchte nach Worten, die seine Kollegin Senger nicht verletzen konnten, »... echauffiert?«
»He?«, blaffte Sonja ihn an. Als Neugebauer keine Anstalten machte, sich zu erklären, fügte sie hinzu: »Ich bin nicht echauffiert, ich gewöhne mir das Rauchen ab.«
Brummer brummte: »Das kann ja heiter werden.«
»Wenn wir das gewusst hätten«, fügte Neugebauer hinzu.
Sonja musterte die Kollegen, die ihr schon in einigen Mordfällen hilfreich zur Seite gestanden hatten. Sie waren routinierte, schweigsame, in die Jahre gekommene, befreundete Kollegen. Auch wenn sie meist paarweise auftauchten, ähnelten sie einander nicht. Brummer war kleiner und stämmiger. Er hatte diese unverwechselbaren, dicken, schwarzen Augenbrauen, die gerade wie ein Strich verliefen und über der Nase fast zusammengewachsen waren. Während Neugebauer ein fliehendes Kinn zu seinem Markenzeichen gemacht hatte. Das nervöse Blinzeln in seinen Augen hatte er beim letzten Einsatz noch nicht gehabt.
Ihre Einstellung Sonja Senger gegenüber schien nicht eindeutig zu sein. Dazu hatte Sonja gleich mehrere Thesen: Sie waren eifersüchtig auf ihr Privileg der halben Stelle und auf ihren Familienstatus, weil sie niemanden ernähren musste außer ihrem Haustier. Sie zweifelten gern und oft an der Ernsthaftigkeit ihrer Ermittlungen. Vor allem aber kratzte es an ihrer männlichen Ehre, dass, wenn sie zusammenarbeiteten, Sonja die Sokos leitete. Sie war sich
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