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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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dass ein Edgar Schramm nie eingecheckt hatte. Und dass er das auch nicht zugelassen hätte, weil er ein potenzieller Mörder war.
    Edgar begann zu laufen.
    Immer tiefer verstrickte er sich in ein Netz aus Halbwahrheiten. Er war eben nicht gemacht für ein Verbrechen. Er musste Lutz einweihen. Lutz war der Einzige, dem er wirklich vertrauen konnte. Er hätte es längst tun sollen.
    Vorbei an Weiden mit Kühen und ohne Kühe, Stromleitungen, Bauernhäusern, Eichenwald, Ginster und Schieferfels, mit Blick ins Tal auf den Ort oder bergan bis zum Horizont folgte er dem Eifelsteig. Der Weg war feucht, Sonnenstrahlen fielen in Bündeln durch die Baumstämme. Mehr als ein Hauch Nebel lag über allem.
    Aus dem Tal drangen Straßengeräusche, aber auch Pferdewiehern und Wasserplätschern. Unten verliefen Bahngleise, und die verkohlten Reste eines großen Lagerfeuers waren zu sehen. Der Zirkus Montana hatte seine Zelte zwischen Bahndamm und Flussufer aufgeschlagen. Ein spitzer Kirchturm schimmerte durch die Bäume. Edgar fotografierte den Wegweiser nach Steinfeld. Der Eifelsteig führte hinunter auf Straßenniveau. An einer Birke hing ein Abfalleimer, der überquoll.
    Edgar blieb stehen. Besorgt sah er sich um, ehe er die Zeitungsseiten herausholte, die als Letztes hineingestopft worden waren. Reste des Kölner Stadt-Anzeigers vom Vortag. Edgar blätterte durch die verschmierten, feuchten Seiten und stellte fest, dass es nur die Kleinanzeigen waren. Wohnungen, Autos, Jobs. Er hatte auf eine Schlagzeile gehofft:   Helenas Mörder überführt . Enttäuscht knüllte er die Seiten zusammen und quetschte sie zu dem anderen Müll.
    Als er sich die Hände an seiner Jacke sauber wischte, kam er sich wie ein Penner vor. Und wie ein Verbrecher, als ganz in der Nähe ein Schuss fiel. Zuerst starr vor Schreck, dann panisch um sich blickend entdeckte er weder Mensch noch Tier. Dennoch hörte er schnelle Schritte, eine Art Trampeln, Blätter raschelten, Äste knackten, Vögel flatterten schreiend auf, eine Autotür schlug zu, ein Motor heulte auf. Es klang wie eine Motorsäge.
    Ich werde verrückt!
    Edgar sah zu, dass er zurück in die Zivilisation kam. Sein Weg dorthin führte zunächst an Brombeeren und Ameisenhaufen und einzelnen Häusern vorbei, deren Dachziegel in der Sonne glänzten. Hastig fotografierte er die nächste Wegkreuzung.   Steinfeld 13 km . Endlich mündete der Eifelsteig auf die Landstraße.
    Eine kleine Brücke führte über das Staubecken der Olef, die dem Ort den Namen gab. Nach ein paar Schritten lag rechter Hand etwas tiefer als die Straße eine Art Kiosk oder Imbiss. Weiße Plastikstühle standen draußen. Feuchtigkeit lag auf ihnen. Es waren noch keine Gäste eingetroffen. Edgar entdeckte einen Zeitungsständer und wollte ihn stürmen, als er die Blicke des Kioskbetreibers spürte. Er hatte die Zeitung sicher schon gelesen. Edgar würde es auch nicht wundern, wenn die Schlagzeile hieße:   Helenas Mörder geht den Eifelsteig . Hatten sie schon sein Foto abgedruckt? Ängstlich senkte er den Blick und marschierte schnell davon.
    Schmucke, weiße Fachwerkhäuser säumten den Dorfplatz, in dessen Mitte eine Kastanie ihre Zweige über einem vergessenen Anhänger auslud. Die Gleise der Oleftalbahn überquerten den gepflasterten Platz. Das Kinderweinen, das aus einem der Höfe zu kommen schien, klang eher wie ein Quengeln, auf jeden Fall nicht so dramatisch, als dass Edgar Schramm hätte eingreifen müssen. Schon wurde es übertönt durch ein dröhnendes Röhren. Edgar trat aus dem Schatten der Kastanie und blickte in den Himmel. Ein Hubschrauber schwirrte geradewegs über ihm. Er schien in der Luft zu stehen. Erschreckt duckte sich Edgar unter der dichten Baumkrone und presste sich an den mächtigen Stamm. Sein Puls, sein Herz, sein Magen, alles war in Aufruhr. Der Eifelsteig-Koller nistete sich in allen Organen ein wie ein Virus.
    Edgar legte seine Arme um den Stamm und hielt sich rücklings an ihm fest. Er setzte den Rucksack ab und durchsuchte das Lunchpaket. Hielt Essen nicht Leib und Seele zusammen? Er entschied sich für einen Apfel, den er vierteilen wollte. Als er sein Jagdmesser aus der linken Seitentasche ziehen wollte, war es nicht an seinem Platz. Aber als er auf die Knie fiel und den Rucksack auf den Kopf stellte, rollte es mit anderen Dingen heraus. Er zog es aus dem ledernen Schaft. Zwei schmale, rote Streifen liefen nebeneinander über die Klinge. Er fuhr mit dem Finger darüber. Rot wie Blut. Es ekelte

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