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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Genau das, was Edgar nicht gebrauchen konnte. Auch seine Nachbarin durfte nicht auf die Idee kommen. So spielte er die Rolle des Beschützers und fragte: »Ist Ihr Fenster auch gut verschlossen?«
    Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und rieb ihre Oberarme, als friere sie. Mit ein paar Schritten war Edgar an ihrem Fenster. An einer Stelle klemmte der Rahmen. Minimal. Niemand konnte das Fenster von außen öffnen.
    »Alles dicht«, sagte er auf dem Weg hinaus. »Es kann nichts passieren. Außerdem – ich wohne neben Ihnen, scheuen Sie sich nicht zu klopfen.«
    »Danke.«
    »Versuchen Sie zu schlafen.« Unter anderen Umständen hätte er ihr ein Schlafmittel aus seinem Medikamentenbeutel gegeben. Aber das verbot sich nun von selbst.
    Er wollte gerade seine Zimmertür schließen, als sie wieder da stand.
    »Mögen Sie vielleicht morgen früh mit mir frühstücken?«, fragte sie zaghaft.
    »Nein!«, stieß Edgar ein wenig zu heftig hervor und schüttelte den Kopf.
    »Entschuldigung«, meinte sie und wandte sich zum Gehen.
    * * *
    14. Mai, 7.00 Uhr
    Am anderen Morgen gab Edgar sich alle Mühe, das Hotel zu verlassen, ohne den Eindruck zu erwecken, dass er floh. Anstatt zu frühstücken, bat er den Hotelier, der auch am Buffet bediente, ihm ein Lunchpaket zusammenzustellen und schob seine Eile auf seine lange Wanderung nach Einruhr, wie er sagte und hoffte, mit dieser falschen Information alle Brücken hinter sich abzubrechen.
    Als er seinen Zimmerschlüssel an der Hausmeisterloge abgeben wollte, hielt der Hotelier ihn auf und erklärte ihm ungefragt, dass es sich bei seiner Zimmernachbarin um die arme Mutter der Toten handele, deren Mörder die Polizei vergeblich in seinem Hause gesucht habe. Es sei also kein Wunder, dass sie nicht habe schlafen können.
    Edgar ließ sich nichts anmerken und winkte lässig ab: »Kein Problem. Wissen Sie, wie sie heißt?«
    »Die Mutter oder die Tote?«, fragte der Hotelier prompt.
    »Die Mutter«, sagte Edgar schnell.
    »Anna Grund.«
    »Ach?« Ein Funken Hoffnung glimmte auf. Es war ihm aufgefallen, dass Helena Finn neben all ihrem Schmuck keinen Ehering getragen hatte. War sie die Tochter einer anderen Mutter? Hatten seine Augen seinem Gehirn gestern Abend einen Streich gespielt, weil die Beleuchtung im Flur schwach war und er beim Anblick der Frau seine Brille nicht trug? Und er im Übrigen an Verfolgungswahn litt? An fanatischer Paranoia? An geistiger, seelischer, körperlicher Verwirrung? Er litt an ... ja, wie sollte man es anders nennen, er litt am Eifelsteig-Koller! Fast so etwas wie Erleichterung verspürte er, als er endlich einen Namen für seinen Zustand gefunden hatte. Wenn er jetzt noch jemanden fände, dem er die Schuld geben konnte, dann ginge es ihm besser. Vielleicht hatte Lutz ihn auch längst, den Eifelsteig-Koller, und wollte es genauso wenig zugeben. Den nächsten Wanderer, der ihm begegnete, würde er warnen.
    »Moment!« Das Telefon in der Hausmeisterloge klingelte, und während der Hotelier abhob, nutzte Edgar die Gelegenheit und verschwand ohne seinen Personalausweis vorlegen zu müssen.
    Als er aus dem Sophienhof trat, dachte er: Mach dir nichts vor! Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn noch eine andere Frau als Helena Finn zum gleichen Zeitpunkt in der gleichen Region ermordet worden war. Aber vielleicht ging es hier ja mit dem Teufel zu. Warum auch nicht? Vielleicht war er ja der Erfinder des Eifelsteig-Kollers.
    Ein Krächzen.
    Über ihm breitete eine schwarze Krähe ihre Flügel aus, ohne davonzufliegen. Sie flatterte, als hielte sie jemand an den Krallen fest. Harmlos begannen im gleichen Moment die Glocken der Pfarrkirche zu läuten. Acht Mal. Er war spät dran.
    Edgar blinzelte in den Himmel. Die Frühlingssonne schien fade durch den Dunst. Wenn er Pech hatte, würde daraus Nebel, der sich den ganzen Tag über nicht mehr verzog.
    Direkt hinter der Kirche fand Edgar den Einstieg zum Eifelsteig. Er fotografierte den Wegweiser und nahm den frühen Erfolg als gutes Zeichen und Aufmunterung. Ein schmaler Pfad, auf den noch viele andere Wanderwege stießen, führte steil bergauf. Nach zehn Minuten entlang an Farn und Laubwald hatte Edgar die Höhe erreicht, der Weg wurde breiter und war nicht mehr so steil.
    Schon nach ein paar Schritten war Edgar klar geworden, dass seine Rechnung nicht aufgehen konnte. Spätestens wenn Lutz in ein paar Tagen in Gemünd im Sophienhof abstieg, würde seine Tarnung auffliegen. Der Hotelier würde ihm bestätigen,

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