Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
als ich noch bei meinen Eltern lebte und die Befehle meiner Mutter ausführte.
Markus Meirich beobachtet mich belustigt und beginnt dann, die Kirsten-Gruber-Fotosammlung zu begutachten. Ich erreiche Melina auf dem Handy.
«Melina, was, äh, also, was hast du denn dir dabei … also, was hast du denn mit dem Haus gemacht? Ich habe dir doch schon mal gesagt, dass du …»
«Häh?», unterbricht sie mich.
«Wie, häh?»
«Na, häh eben. Was soll ich denn mit dem Haus gemacht haben?»
Ich schildere ihr den klinisch reinen Zustand.
«Das war ich nicht», sagt sie dann. «Ich bin doch nicht bekloppt.»
Beruhigt verabschiede ich mich von ihr und komme sehr schnell zu der Vermutung, dass meine energetisch überaktive Schwester im kongenialen Duo mit meiner Mutter ihr Unwesen getrieben haben muss.
Auch dort rufe ich an, nicht sicher, ob ich mich für so eine übergriffige Aktion bedanken möchte. Meine Mutter allerdings weiß auch von nichts, ebenso wenig Ulrike. Nun gucke ich dumm aus der frisch im Schrank zusammengelegten Wäsche.
«Henning, komm mal her», ruft mich Markus ins Arbeitszimmer.
Er hält ein rosafarbenes Büchlein hoch, offenbar das Tagebuch von Kirsten Gruber. Er blättert zu einer bestimmten Stelle, deutet auf sie und lässt mich lesen:
Mit M fühl ich mich sicher. Hafen. Frieden. Er versteht mich, er hält zu mir, ist anders. Mein anders. Anders als alles. Anders als Norm. Anders anders. Was wäre ich ohne ihn? Nebel, der sich auflöst, kein Stattfinden. Er verteidigt das meine, lässt Angst auflösen. Die Lösung. Für alles und nichts. Geliebt sein, wie ich bin. Brauchen. Lieben. Wegfliegen, weit weg.
Hass! M auf P. Hätte schweigen müssen … Scham, immer wieder Scham.
Doch er sieht hin, er sieht mich, er sieht die Wunden. Er sieht hin.
Gruselig. Ein paar Zeilen weiter unten lese ich:
P nennt mich Hure.
Ich schwöre, dass ich nicht mit M schlafe.
Und doch sagt er es immer wieder. Warum macht er das? Was habe ich getan? Er findet immer was, immer irgendeinen Grund dafür.
M holt mich da weg. Nicht mehr lange und ich bin ganz weit weg.
Es war ihr letzter Eintrag im Tagebuch. Drei Wochen bevor sie erwürgt aufgefunden wurde. «M» kann nur Maik sein. Aber wer ist «P»?
«Papa», sagt Markus. «Es könnte Papa bedeuten.»
Dieter Gruber, der religiös übereifrige Vater, könnte hiernach tatsächlich seine Tochter geschlagen haben. Aus welchen verschrobenen Motiven heraus auch immer. Hat er vielleicht etwas mit dem Tod seiner Tochter zu tun? Und ist er vielleicht auch für das Verschwinden von Maik Fichtenau verantwortlich?
In Kirstens Tagebuch finden wir zudem ein eingelegtes Foto, auf dem ein junger Mann mit fescher blonder Vokuhilafrisur und Oberlippenbart in die Kamera grinst. Es erinnert mich an ein dreißig Jahre altes Foto eines Manndeckers von Arminia Bielefeld aus meinem Panini-Album.
Wir finden keine Anhaltspunkte, wer dieser Knabe sein soll. Maik Fichtenau jedenfalls, so viel ist klar, ist es nicht.
Markus findet es merkwürdig, warum nach diesem gedichtartigen Tagebucheintrag kein weiterer mehr folgt. Bis zu diesen Zeilen, drei Wochen vor ihrem Tod, schrieb sie nahezu täglich in ihr Buch.
Hat Bruder Jochen es schon vorher an sich genommen?
Konzentriert betrachten wir nun alle Fotos, die Jochen Gruber so sorgfältig in sein Album einklebte. Auf den meisten ist Kirsten alleine zu sehen, auf einigen wenigen erkennen wir in ihrer Nähe Maik Fichtenau. Wieder fällt auf, dass Kirsten meist ohne ihr Wissen abgelichtet wurde.
«Guck mal hier», rufe ich plötzlich und deute auf eines der Fotos. «Hier, das hier, das ist er doch. Eindeutig!»
«Wer ist was?», fragt Markus.
«Da ist unser Vokuhila-Sportsfreund.»
Auf einem der letzten Fotos sitzt er auf einer Waldbank. Und neben ihm: Kirsten!
«Dann sollten wir schnell herausbekommen, wer dieser hübsche Knabe ist», sagt Markus und erhebt sich von meinem Schreibtischstuhl. «An irgendwen erinnert der mich», grübelt er.
«Arminia Bielefeld, Innenverteidiger, Saison 85 / 86 », sage ich.
«Nein», erwidert Markus, «VfL Bochum, Thomas Kempe, 87 / 88 !»
Beeindruckt stimme ich ihm zu.
«O.k., ich mach mich dann mal ab nach Alsfeld ins Büro», sagt Markus und greift nach seiner Tasche.
Ich bringe ihn zur Tür, nicht ohne dass er zum Abschied von Charlie unter dem Beifall von Berlusconi besprungen wird. Ich entschuldige mich und weise meine Hunde in ihre Schranken. Versuche es jedenfalls. Das helle Hemd
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