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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Laufschritt – den Park verlassen und war mit einer gewöhnlichen Droschke davongefahren.
    Diese Aktion, die erste nach einer langen Zeit der Flaute, rüttelte die Öffentlichkeit gehörig auf. Alles sprach von der Organisation mit dem geheimnisvollen Namen. Und als die Partei verkündete, was die Initialen bedeuteten und daß der revolutionäre Kampf wieder aufgenommen war, durchfuhr das Land jenes neuralgische Zucken, ohne das soziale Erschütterungen jedweder Art nicht zu denken sind und das man schon fast nicht mehr kannte.
    Von da an hatte Grin alles, was er für eine ordentliche Arbeit benötigte: Ausrüstung, Geld und Leute. Letztere suchte er sich selbst oder wählte sie aus dem Kreis der Kandidaten,die die Partei ihm antrug. Dabei machte er es sich zur Regel, daß die Gruppe nie mehr als drei, vier Personen umfassen durfte. Für terroristische Aktionen genügte das vollauf.
    Es gab große Pläne. Das nächste Attentat jedoch – auf Chrapow, den Henker – schlug erst einmal fehl. Zwar insofern nicht ganz, als sich bei dem toten Bombenwerfer ein Revolver mit der Inschrift
KG
fand, was durchaus Eindruck machte. Der Ruf der Gruppe war dennoch ramponiert. Weitere Pannen durfte es nicht geben.
    So also war die Situation, als Grin auf dem Tisch den zweifach gefalteten Zettel mit der wie gestochenen Schreibmaschinenschrift entdeckte. Das Papier war längst verbrannt, den Text hatte er jedoch wortwörtlich im Gedächtnis:
     
    Chrapow besser erst mal nicht anrühren, wird momentan zu gut bewacht. Sobald Gelegenheit ist, an ihn heranzukommen, teile ich es mit. Vorerst das Folgende: Bogdanow, Gouverneur von Jekaterinograd, pflegt donnerstags abends acht Uhr heimlich ein Haus in der Michelsonowskaja, Nummer zehn, aufzusuchen. Allein, ohne Wache. Nächsten Donnerstag mit Sicherheit wieder. Diesen und nachfolgende Briefe nach dem Lesen unverzüglich verbrennen. T.G.
     
    Grins erster Gedanke war: Jetzt übertreibt es die Partei mit der Konspiration. Ein untergeschobener Brief – wozu diese melodramatischen Mätzchen? Und T.G., was soll das heißen?
    Er erkundigte sich bei Melnik: Nein, der Zettel stammte nicht aus dem ZK. Ein Hinterhalt der Gendarmerie? Sehr unwahrscheinlich. Was hätten die von solch einem Zinnober? Wozu den Gegner erst nach Jekaterinograd locken? Hätte diePolizei von ihrem Nest gewußt, hätten sie auch hier zuschlagen können.
    Blieb eine dritte Möglichkeit: Jemand wollte die Kampfgruppe unterstützen und dabei selbst im Dunkeln bleiben.
    Nach einigem Zögern beschloß Grin, das Risiko einzugehen. Gouverneur Bogdanow war keine sonstwie bedeutende Persönlichkeit. Die Partei hatte ihn allerdings im vergangenen Jahr zum Tode verurteilt, weil er die Bauernunruhen im Strelezker Amtsbezirk brutal niedergeschlagen hatte. Es gab vordringlichere Fälle. Aber warum nicht? Man brauchte einen Erfolg.
    Und den bekam man. Die Aktion verlief, von der Rauferei mit den Schutzleuten abgesehen, reibungslos. Am Ort der Hinrichtung hinterließ Grin ein Flugblatt mit dem Urteilsspruch und den Initialen
KG
.
    Etwas später, der Winter war angebrochen, fand sich ein zweiter Brief – in der eigenen Manteltasche. Er nahm an einer Hochzeit teil, die freilich fingiert war: Zwei Parteiangehörige schlossen die Ehe, weil es der Sache dienlich und zugleich die Gelegenheit war, ein legales Treffen abzuhalten, wo wichtige Fragen besprochen werden konnten. Beim Ausziehen war der Zettel noch nicht dagewesen. Beim Weggehen fuhr er mit der Hand in die Tasche und stieß darauf.
     
    Der Ihnen bekannte Generalleutnant der Gendarmerie Seliwanow reist inkognito zur Inspektion der Pariser Auslandsagentur. Am 13. Dezember um halb drei Uhr nachmittags wird er ohne Begleitung eine konspirative Wohnung in der Rue Annamit, 24, aufsuchen. T.G.
     
    Und wieder geschah alles genau so, wie der unbekannte T. G. vorausgesagt hatte: Sie fingen Seliwanow, den schlauen Fuchs,sozusagen mit bloßen Händen, woran in Petersburg nicht im Traum zu denken gewesen wäre. Im Hausflur lauerten sie ihm auf. Grin packte den Offizier von hinten bei den Armen, und Rachmet stieß mit dem Dolch zu. So gelang es der Kampfgruppe, auch in Europa für Aufsehen zu sorgen.
    Den dritten Brief entdeckte Grin auf dem Fußboden im Korridor. Das war schon in diesem Jahr, sie wohnten zu viert auf der Basilius-Insel. Diesmal lenkte der Absender ihr Augenmerk auf Oberst Posharski, eine durchtriebene Bestie aus der nachgewachsenen Gendarmengeneration. Posharski hatte im Herbst

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