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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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hatte er ein Gespür.
    Zwei Kürzel waren im Spiel: KG und T. G. Hinter ersterem stand eine Organisation. Hinter letzterem – der Name eines einzelnen? Man fragte sich, wozu die Botschaften überhaupt eine Unterschrift brauchten.
    Das erste, was er in Petersburg nach seiner Rückkehr zu tun gedachte, war, eine Liste sämtlicher Personen zu erstellen, die Zutritt zu den Orten gehabt hatten, an denen die Zettel jeweils gelandet waren. Nahm man nur die, die an alle vier Orte hätten gelangen können, würde die Liste nicht lang werden. Außer denen, die zur Gruppe gehörten, nur ganz wenige. Er würde sich jeden genau anschauen. Erkunden, wer er war, und ihn zum offenen Gespräch bitten. Unter vier Augen, höchste Diskretion vorausgesetzt.
    Doch es war schon Viertel vor eins. Zwei Stunden waren um. Er mußte Rachmet wecken.
    Grin ging durch den Salon nach hinten ins dunkle Schlafzimmer. Er hörte Stieglitz’ regelmäßigen, schnaufenden Atem und Jemeljas leises Schnarchen.
    »Rachmet, steh auf!« wisperte Grin, über das Bett gebeugt, und streckte die Hand aus.
    Sie stieß ins Leere. Er ging in die Hocke, betastete den Boden – die Stiefel waren weg.
    Rachmet, der Kornblumenmann, war unterwegs. Vielleicht suchte er Abenteuer. Vielleicht war er auf und davon.

DRITTES KAPITEL,
    in welchem die Nachteile einer doppelten Subordination augenfällig werden
    »M-müssen wir uns noch lange angucken lassen?« fragte Fandorin ungehalten und sah sich nach Burljajew um.
    Seit der Staatsrat und der Oberstleutnant (der seine blaue Uniform gegen Zivilkleidung eingetauscht hatte) die Pforte der bescheidenen kleinen Villa am Arbat passiert und das Glöckchen betätigt hatten, waren annähernd fünf Minuten vergangen. Zuerst hatte es ein verheißungsvolles Schaukeln der Gardine im oberen Stockwerk gegeben, doch weiter passierte erst einmal gar nichts.
    »Ich hatte Sie ja gewarnt«, ließ der Geheimpolizeichef sich halblaut vernehmen. »Eine eigenwillige Person. Ohne mich würde sie einem Fremden sowieso nicht öffnen.« Und er rief, den Kopf in den Nacken gelegt, noch einmal: »Diana, ich bin’s, machen Sie doch auf! Ich habe den Herrn dabei, von dem ich am Telefon sprach!«
    Keine Reaktion.
    Fandorin hatte sich sagen lassen, daß dieses Haus, durch einen Strohmann angemietet, von der Geheimpolizei als konspirativer Treffpunkt geführt wurde und der wertvollen »Mitarbeiterin« zur vollen Verfügung stand. Alle Treffen mit ihr fanden hier statt und mußten vorab angemeldet werden, zu welchem Zweck im Haus eigens ein Telefonapparat installiert war.
    »Meine Dame!« wurde nun auch Fandorin etwas lauter.»Wir kriegen hier kalte Füße! Das ist nicht die feine Art! Wollen Sie mich noch besser sehen? Dann sagen Sie es doch!«
    Er nahm den Zylinder ab, hob das Gesicht, drehte es erst nach rechts, dann nach links ins Profil, und – o Wunder! – die Luke im Fenster öffnete sich, eine schmale weiße Hand erschien, und ein kupferner Schlüssel fiel den Besuchern vor die Füße.
    »Uff!« seufzte der Oberstleutnant erleichtert und bückte sich. »Lassen Sie mich das machen. Das Schloß hat einen Trick …«
    Kurz darauf standen sie in der leeren Diele und legten ab. Burljajew, der aufgeregt schien, kämmte sich vor dem Spiegel, bevor er als erster die knarrende Treppe zum Mezzanin hinaufstieg.
    Oben gab es einen kleinen Korridor, von dem zwei Türen abgingen. Der Oberstleutnant klopfte kurz an die linke und trat, ohne zu zögern, ein.
    Als erstes nahm Fandorin den Duft von Moschusöl wahr. Im Zimmer war es beinahe stockfinster. Die Vorhänge waren vor die Fenster gezogen, nicht ein Leuchter brannte. Es mußte eine Art Arbeitszimmer sein, denn an der Wand hob sich dunkel etwas ab, was ein Sekretär sein konnte, in der Ecke etwas heller ein Schreibtisch. Die schlanke weibliche Gestalt, die reglos neben dem Fenster stand, hatte er nicht gleich bemerkt. Auffällig ihr unproportional großer Kopf – Fandorin mußte zwei Schritte auf sie zugehen, um zu erkennen, daß die Dame ein Reitbarett mit Feder und Schleier trug.
    »Bitte Platz zu nehmen, meine Herren«, sprach die Frau mit gedämpfter Stimme (leicht zischend, beinahe ein Flüstern), wies mit graziöser Geste auf ein paar Sessel. »Seien Sie gegrüßt, Pjotr. Wo brennt es denn? Und wer ist Ihr Begleiter?«
    »Das ist mein Kollege, Sonderbeauftragter des Fürsten Dolgorukoi«, erwiderte Burljajew, den Flüsterton aufnehmend. »Er führt die Untersuchungen im Mordfall Generaladjutant Chrapow.

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