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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Zunge aus dem Maul, die Augen treten aus den Höhlen, der Kot quillt aus den Gedärmen … Hast du nicht von Judas in der Bibel gelesen? ›Aber er ist vornüber gestürzt und mitten entzweigeborsten, so daß alle seine Eingeweide hervorquollen …‹«
    Burljajew erntete einen vorwurfsvollen Blick von Subzow, der diese Taktik offenbar für unangemessen hielt, während der Arrestant auf die düsteren Vorhaltungen ganz unbekümmert reagierte.
    »Das macht nichts, dann röchle ich eben ein bißchen und geb den Löffel ab. Mir ist das Jacke wie Hose, die Scheiße wegkratzen müßt hinterher ihr. Das ist dein Job, Schweinsgesicht.«
    Zack! versetzte der Oberstleutnant dem furchtlosen Mann einen schnellen, saftigen Fausthieb mitten ins Gesicht.
    »Aber Herr Oberstleutnant!« legte Subzow lautstark Protest ein, erkühnte sich sogar, seinen Vorgesetzten am Arm zurückzuzerren. »Das ist vollkommen ungebührlich! Sie beschädigen das Prestige der Behörde!«
    Burljajew warf wütend den Kopf herum, wohl im Begriff, seinen anmaßenden Untergebenen in scharfer Form zurechtzuweisen, doch im selben Moment stieß Staatsrat Fandorin energisch seinen Stock auf den Boden.
    »Aufhören damit!« sagte er streng.
    Schwer atmend wand der Oberstleutnant seinen Arm aus Subzows Griff. Währenddessen spuckte der Terrorist einen Klumpen Blut auf den Boden, worin hell die beiden Vorderzähne schimmerten, und grinste schief, die blitzenden blauen Augen herausfordernd auf den Oberstleutnant gerichtet.
    »Nichts für ungut, Herr Fandorin«, brummte Burljajew unwillig, »ich habe mich vergessen. Sie sehen ja selber, was das für ein Bursche ist. Wie gedächten Sie mit so einem zu verfahren?«
    »Was meinen Sie, Herr Titularrat?« fragte der Staatsrat Subzow, welcher ihm immer sympathischer wurde.
    Der rieb sich verlegen die Nasenwurzel, doch die Antwort kam ohne Zögern: »Ich finde, wir vergeuden hier nur unsere Zeit. Wir sollten das Verhör aussetzen.«
    »G-ganz meine Meinung. Verfahren werden wir folgendermaßen, Herr Oberstleutnant: Ich bitte unverzüglich eine genaueste Personenbeschreibung des Delinquenten zu erstellen. Dazu die komplette Bertillonage, mit allen Finessen. Portrait parlé und anthropometrische Daten telegrafisch ans Polizeidepartement. Vielleicht hat der Mann ja dort eineAkte. Und Beeilung, wenn ich bitten darf! In spätestens einer Stunde muß die Depesche in Petersburg sein.«
     
    Und wieder, zum wer weiß wievielten Mal heute, lief Fandorin den um diese nachtschlafene Zeit völlig menschenleeren Twerskoi Boulevard entlang. Was hatte dieser endlos lange Tag nicht alles zu bieten gehabt, Sturm, Schneegestöber und unverhofften Sonnenschein, jetzt aber schien alles still und festlich: das Schummerlicht der Gaslaternen, die weißen, wie in Mull gehüllten Baumsilhouetten, die sanft an ihm abgleitenden Schneeflocken.
    Was ihn bewogen hatte, den amtlichen Schlitten für den Nachhauseweg auszuschlagen, verstand der Staatsrat selbst erst richtig, als er den unberührten Schnee auf der Allee so angenehm unter seinen Füßen knirschen hörte. Er mußte das peinigende Gefühl der Beschmutzung loswerden, vorher würde er ohnehin nicht einschlafen können.
    Bedächtig schritt Fandorin zwischen tristen Ulmen einher und versuchte zu verstehen, wie es kam, daß an allem, was mit Politik zusammenhing, unweigerlich der Geruch von Schmutz und Fäulnis haftete? Er führte eine ganz normale Untersuchung, mochte man meinen, wenn auch eine von besonderer Wichtigkeit. Das Ziel aller Ehren wert: Verteidigung der öffentlichen Ruhe, der Interessen des Staates. Woher kam das Gefühl, besudelt zu werden?
    Wer mit dem Besen hantiert, dessen Weste kann nicht rein bleiben – diesen Spruch mußte Fandorin sich des öfteren anhören, von praktizierenden Gesetzeshütern vor allem. Doch war er schon vor längerer Zeit dahintergekommen, daß so zumeist Menschen urteilten, die für dieses anspruchsvolle Handwerk kein Talent hatten. Die einfach zu faul waren,immer nur erpicht auf simple Lösungen für komplizierte Fragen, und die schon darum nie richtig professionell werden konnten. Was ein guter Straßenkehrer ist, der fegt im blütenweißen Rock, denn er bewegt den Dreck nicht mit bloßen Händen und auf allen vieren, er besitzt einen Besen und eine Kehrschaufel, und er weiß sie zu handhaben. Fandorin hatte genug zu tun gehabt mit gnadenlosen Mördern, gewissenlosen Betrügern, blutrünstigen Monstern – doch so angewidert wie heute hatte er sich noch

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