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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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unter Ihren Augen sagen mir, daß Sie gar nicht im Bett waren. Nun, wie Sie sehen, sitze ich hier und drehe Däumchen. Polizei und Gendarmerie durchkämmen die Straßen, Agenten schnüffeln im einschlägigen revolutionären Dickicht und Spülicht, und ich hocke hier wie die Spinne im Netz und warte, ob irgendwo ein Faden zu zucken anfängt. Lassen sie uns gemeinsam warten. Subzow ist auch schon da, er legt mir gerade seine bemerkenswerten Ansichten zur Arbeiterbewegung dar. Fahren Sie fort, mein Bester. Das wird auch Herrn Fandorin interessieren.«
    Man wußte nicht, ob die rosa Flecken im schönen, schmalen Gesicht des Titularrats Subzow von der Lust am Gegenstand oder irgendeiner anderen Anwandlung herrührten.
    »Was ich meine, Herr Staatsrat, ist, daß die revolutionäre Bewegung in Rußland sehr viel leichter auf dem Wege von Reformen als mit polizeilichen Mitteln zu besiegen wäre. Polizeiliche Mittel sind vermutlich sogar gänzlich ungeeignet, Gewalt gebiert Gewalt und immer noch unerbittlichere Gewalt, das schaukelt sich hoch bis zum gesellschaftlichen Kollaps. Hierbei ist das Augenmerk insbesondere auf die Arbeiterschaft in den Fabriken zu richten. Ohne die Unterstützung der Arbeiter sähen die Revolutionäre alt aus. Denn unsere Bauernschaft ist viel zu passiv und zersplittert.«
    Smoljaninow betrat leise den Raum. Setzte sich an den Sekretärstisch, hielt mit der Hand des verbundenen Arms linkisch sein Blatt fest und fing mit der anderen, den Kopfin Gymnasialschülermanier schief haltend, zu schreiben an.
    »Wie aber könnte man es anstellen, daß die Arbeiter den Revolutionären die Unterstützung v-verweigern?« fragte der Staatsrat und überlegte immer noch, was die rosa Flecken zu bedeuten hatten.
    »Sehr einfach.« Es war zu merken, daß Subzow für dieses Thema brannte, tausendmal darüber nachgedacht hatte. Er theoretisierte nicht bloß, ihm schien daran gelegen, die vor ihm sitzende Petersburger Prominenz von seinen Ideen zu überzeugen. »Wer sein Auskommen hat, der geht nicht auf die Barrikaden. Wenn alle Fabrikarbeiter so lebten wie die, die bei Lobastow arbeiten, mit einem Neunstundentag, anständiger Bezahlung, kostenlosem Krankenhaus und Urlaub, dann fänden die Herren Grin in Rußland kein Betätigungsfeld.«
    »Aber das entscheiden nun einmal die Fabrikbesitzer, was sie ihren Arbeitern bieten«, wandte Posharski ein, während er den jungen Mann mit Vergnügen betrachtete. »Denen kannst du nicht vorschreiben, soundso viel zu bezahlen oder kostenlose Krankenhäuser einzuführen.«
    »Wieso nicht! Dafür sind wir, der Staat, doch da«, sagte Subzow und schüttelte heftig seinen blonden Kopf. »Um ihnen das vorzuschreiben. Denn dafür haben wir gottlob eine autokratische Monarchie. Um es den Reichsten und Gescheitesten zu erklären, was sie davon hätten, und um anschließend ein Gesetz zu machen. Von oben. Feste Statuten über die Entlohnung von Arbeitskräften. Und wer sich nicht danach richten kann, der muß seine Fabrik zumachen. Ich garantiere Ihnen, nach solch einer Kehrtwendung hätte Seine Majestät keine treueren Untertanen als die Arbeiter! Das könnte die Monarchie von Grund auf sanieren!«
    Posharski kniff die dunklen Augen zusammen.
    »Das klingt vernünftig. Nur leider schwer zu realisieren. Denn Seine Majestät hat festgefügte Vorstellungen, was das Wohl seines Imperiums und die gesellschaftliche Ordnung angeht. Seiner Ansicht nach ist der Zar der treusorgende Vater für seine Untertanen, der General für seine Soldaten und der Unternehmer für seine Arbeiter. Eine Einmischung in diese Vater-Sohn-Beziehungen von außen ist nicht statthaft.«
    Subzows Stimme wurde weich und tastend, man spürte, daß er zum Eigentlichen kam.
    »Und ebendarum, Euer Erlaucht, müßte man der Obrigkeit vor Augen führen, daß Arbeiter nicht die Söhne der Unternehmer sind, sondern daß beide, Fabrikanten und Fabrikarbeiter, gleichermaßen zur Familie Seiner Majestät gehören. Und es wäre gut, die Initiative zu ergreifen, bevor die Revolutionäre die Arbeiterschaft endgültig zu einer unkontrollierbaren Meute umorganisiert haben. Wir sollten vor den Unternehmern für die Rechte der Arbeiter eintreten, hie und da auch Druck auf sie ausüben. Damit die einfachen Leute sich allmählich mit dem Gedanken anfreunden, daß der Staatsapparat nicht zum Bewachen von Geldsäcken, sondern zum Schutz der Arbeiter da ist. Man könnte sogar die Bildung von Gewerkschaften befördern und dafür sorgen, daß die,

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