Tote Kehren Nicht Zurück
mir, als wäre es noch gar nicht so lange her, als du so ein kleiner Bursche warst und mit dem Dreirad durch den Garten gefahren bist – schon gut, ich höre ja auf. Ich will dich nicht mit meinen Babygeschichten in Verlegenheit bringen. Obwohl niemand in der Nähe ist, der mithören könnte …« Sie brach ab und verbarg das Gesicht in den Händen.
»Niemand …«, klang es dumpf zwischen ihren Fingern hindurch. Luke erhob sich, setzte sich auf die Armlehne ihres Sessels und legte den kräftigen Arm um ihre dünnen Schultern.
»Ich bin da«, sagte er. Sie saßen eine Weile schweigend da, dann sagte Carla ruhig:
»Ich nehme das Omelett. Wir sollten beide essen, das wäre schön. Aber lass uns vorher einen Whisky trinken.« Er lachte, tätschelte ihren Arm und sagte:
»So ist es schon besser, Mum.« Kurze Zeit später, nachdem sie gegessen und Luke das Geschirr in das Spülbecken geräumt hatte, wo es bis zum Eintreffen von Mrs Flack am nächsten Morgen bleiben würde, schenkte er seiner Mutter einen weiteren Whisky ein.
»Keine Sorge«, sagte er.
»Ich versuche nicht, dich zur Alkoholikerin zu machen. Es ist ein Schlummertrunk. Kipp ihn runter, und dann legst du dich hin.« Carla hielt das Glas in das Licht des Kaminfeuers, und der Inhalt leuchtete wie geschmolzene Bronze.
»Runterkippen? Mein lieber Junge, das ist der kostbare achtzehn Jahre alte Macallan deines Vaters. Er muss mit Andacht genossen werden.« Luke grinste und warf sich in einen freien Sessel. Die Holzscheite im Kamin waren zu weißer Asche heruntergebrannt, die nach und nach in die Glut fielen. Carla hielt das Glas schräg und beobachtete, wie der Inhalt von einer Seite zur anderen schwappte.
»Luke, mein Liebling, wir müssen stark sein. Auf uns kommt eine schwere Zeit zu. Nein – lass mich ausreden. Wir müssen uns gegenseitig stützen. Der Tod deines Vaters, die Art und Weise, wie er gestorben ist …« Sie stockte, bevor sie fortfuhr:
»Das alles bedeutet, dass dieses Haus und jeder darin für die nächsten Monate im Scheinwerferlicht stehen wird. Es wird eine schreckliche Erfahrung. Ich meine damit nicht einmal die Polizei, die überall herumschnüffelt und hier und dort stochert, ich meine die Presse … Kameras … Wir werden nicht mehr unbeobachtet ein und aus gehen können. Wir werden mit niemandem mehr reden können.« Sie runzelte die Stirn.
»Ich muss unbedingt mit Irene reden, gleich morgen Früh. Sie darf nicht schwatzen.«
»Ich denke, das hat die Polizei ihr schon deutlich gemacht«, sagte Luke.
»Ja, aber es ist nicht das Gleiche, als wenn du oder ich mit ihr reden. Es ist eine Familienangelegenheit, weißt du? Der Tod ist eine ganz persönliche Sache, und Irene ist quasi ein Mitglied unserer Familie. Zumindest ein Mitglied unseres Haushalts, wenn du diesen Ausdruck vorziehst. Wie dem auch sei, sie ist seit über zehn Jahren bei uns, und sie weiß so gut wie alles über uns …«
»Du musst dir wegen der guten alten Irene wirklich keine Gedanken machen, Mum«, unterbrach Luke seine Mutter.
»Trotzdem, ich werde morgen Früh mit ihr reden, wenn es dich beruhigt.« Sie sah ihn mit einer Entschlossenheit an, die er den ganzen Tag noch nicht an ihr gesehen hatte.
»Es ist nicht nur der Tod deines Vaters, auf den sich die Medien stürzen werden. Es geht auch um sein Leben – sie werden es auseinander nehmen, in jeden Winkel und jede Ecke leuchten. Du musst darauf gefasst sein, Luke.« Verwirrt fragte er:
»Warum? Was werden sie finden?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht nichts. Aber ich habe es schon früher gesehen, bei anderen. Der Tod, Begräbnisse – das alles führt dazu, dass Geheimnisse ans Tageslicht kommen. Was ich versuche, dir zu sagen, Luke – wir dürfen nicht zulassen, dass irgendetwas von dem, was wir erfahren, die Art und Weise ändert, wie wir von Dad denken. Verstehst du, was ich sage? Was auch immer ans Licht kommt – falls etwas ans Licht kommt –, es darf unsere Erinnerung an ihn nicht trüben. Das ist sehr wichtig, Luke. Verstehst du, was ich sagen will?« Er nickte unglücklich und fragte sich, warum das überheizte Zimmer plötzlich so kühl wirkte. Seine Mutter stand auf und beugte sich zu ihm hinab, um ihn auf die Stirn zu küssen.
»Gute Nacht, mein Liebling. Bleib nicht so lange auf. Ich denke, die Polizei wird morgen in aller Frühe wieder vor der Tür stehen. Ich frage mich, ob Alan Markby ebenfalls kommen wird? Du kennst ihn schon, oder? Er kannte Daddy noch aus
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