Tote Kehren Nicht Zurück
Ich glaube, sie alle wussten Bescheid in seinem Heimatdorf, zumindest die älteren Bewohner, die ihn aus der Zeit seiner Kindheit kannten. Aber sie waren diskret, verstehen Sie?«
»Du hast ihn nie damit konfrontiert?«, fragte Meredith neugierig.
»Hast du denn nie wenigstens daran gedacht?« Carla antwortete nicht sogleich. Sie setzte ihr leeres Glas mit einem Klirren auf dem Tisch ab und zupfte geistesabwesend an ein paar Strähnen ihres kurz geschorenen Haars.
»Ich muss wieder zum Friseur!«, murmelte sie.
»Und ich brauche eine Spülung. Ich dachte, ich lasse mir die Haare vielleicht einen oder zwei Töne heller machen? Was meinst du?« Sie erwartete sicher keine Antwort auf diese beiläufige Frage, und Meredith gab auch keine. Nach ein paar Sekunden hörte Carla mit dem Zupfen auf und kehrte zum Thema zurück.
»Ja«, sagte sie fest.
»Ich dachte daran, ihn mit dieser Geschichte zu konfrontieren. Aber dann überlegte ich: Was geschieht mit Luke? Luke war kaum älter als dieses Mädchen in Cornwall. Es war ein verdammt ungünstiges Alter für ein Kind, ihm zu eröffnen, dass der Vater noch eine Familie und man selbst eine Halbschwester im gleichen Alter hat. Warum sollte ich unser Boot derart unnötig zum Schaukeln bringen? Meine Karriere verlief gut, seine ebenfalls. Wenn er nach Hause kam, hatten wir immer eine gute Zeit. Er würde mich nicht verlassen. Hätte er das je vorgehabt, wäre es längst geschehen. Er stand im Licht der Öffentlichkeit und konnte sich keinen Skandal erlauben. Warum nicht einfach die Dinge so lassen, wie sie waren? Wer litt überhaupt darunter?«
»Du hast gelitten«, sagte Meredith steif. Kühle, distanzierte Überlegung half einem nicht über Emotionen hinweg. Carla erwartete doch wohl nicht, dass Meredith ihr diese Erklärung unwidersprochen abkaufte? Es musste noch einen weiteren Grund geben, warum sie Andrews Doppelleben geduldet hatte. Carla blickte auf, und das Glitzern war in ihre Augen zurückgekehrt.
»Ich kann dir wohl nichts vormachen, wie? Trotzdem, was ich gesagt habe, ist wahr. Alles. Und es gab noch einen weiteren Grund. Du darfst nicht vergessen, auch ich stehe in der Öffentlichkeit. Ich konnte es einfach nicht ertragen, eine Närrin aus mir machen zu lassen. Kannst du dir die Schlagzeilen vorstellen? Die Klatschblätter? BERÜHMTE WISSENSCHAFTSMODERATORIN ENTDECKT LIEBESNEST IHRES MANNES! Also verschloss ich die Augen davor und ließ es weiter geschehen. Nach einer Weile wurde mir bewusst, dass, was auch immer er dort unten in Cornwall hatte, nicht mehr als eine Art Hobby war, ein nostalgischer Trip in die Erinnerungen der Kindheit. Was er wirklich wollte, was ihm wirklich etwas bedeutete, das war hier in Bamford, das waren Luke und ich. Was hätte ich ihm also sagen können? Dass er eine Entscheidung treffen sollte? Das hatte er längst. Er hatte sich für uns entschieden. Ich empfand sogar so etwas wie Mitleid für die Frau in Cornwall, weil sie die zweite Geige spielen und die ganze Zeit heucheln musste. Ich sah, dass Andrew mich und Luke wirklich liebte. Und wir waren glücklich, Meredith, das ist die Wahrheit. Warum sollte ich das zerstören? Warum sollte ich ihn zwingen, diese andere Frau zu verlassen? Warum hätte ich mich von ihm trennen sollen, wenn dadurch das glückliche Familienleben zerstört worden wäre, das wir hier in Bamford hatten?« Carla lächelte.
»Andrew hatte etwas an sich, weißt du, etwas sehr Kindliches. Er wollte immer alle Süßigkeiten im Laden.« Sie wurden vom Geräusch einer lauten Auseinandersetzung draußen vor dem Haus unterbrochen. Luke hatte die Stimme ärgerlich erhoben, und eine zweite männliche Stimme protestierte lautstark schnaufend. Dann kehrte wieder Stille ein, nur durchbrochen vom Quietschen des eisernen Tores an der Auffahrt.
»Die Presse!«, stellte Carla fest.
»Luke ist ein äußerst zuverlässiger Wachhund.«
»Und was geschieht nun?«, fragte Meredith.
»Ich sitze hier und mache das, was die Polizei sagt. Ich habe allerdings eine Entscheidung getroffen. Wegen dieses Mädchens, wegen Andrews Tochter.« Meredith hob misstrauisch den Blick. Carla wirkte wie jemand, der eine Überraschung vorbereitet hat und im Begriff steht, sie voll Vergnügen zu präsentieren.
»Ich werde Kate Drago wohl fragen, ob sie nicht herkommen und in Tudor Lodge wohnen möchte, zusammen mit Luke und mir.« Meredith hätte mehrere Dinge sagen können, ausnahmslos kluge, taktvolle Worte. Doch was schließlich
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