Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
Haus?«
»Ja.«
»Und Damas?« fragte ich.
Grace Damas hatte zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern bei ihren Schwiegereltern gewohnt. Die Eltern besaßen ihr Haus schon seit Urzeiten und hatten auch vor, darin zu sterben.
Ich dachte eine Weile darüber nach.
»Was hat Grace Damas eigentlich gemacht?«
»Sie war eine brave Hausfrau, hat ihre Kinder erzogen und Deckchen für die Kirche gehäkelt. Ab und zu hatte sie einen Halbtagsjob. Und wissen Sie, wo sie mal gearbeitet hat? In einer Boucherie.«
»In einer Metzgerei?« Das hatte uns gerade noch gefehlt. Eine abgeschlachtete Schlachterin.
»Was ist mit dem Ehemann?«
»Der ist sauber. Lastwagenfahrer.« Kurze Pause. »Wie auch sein Vater vor ihm.«
Wir schwiegen.
»Was halten Sie eigentlich von dem, was ich herausgefunden habe?«
»Meinen Sie die U-Bahn oder die Immobilienanzeigen?«
»Beides.«
»Ich weiß nicht so recht, Brennan.« Wieder Schweigen. »Haben Sie denn eine Theorie?«
Ich hatte lange darüber nachgedacht.
»Also gut. St. Jacques liest die Immobilienanzeigen und sucht sich eine Adresse heraus. Dann beobachtet er das Haus, bis er ein passendes Opfer entdeckt. Das verfolgt er dann und wartet auf eine Gelegenheit, um zuzuschlagen.«
»Und was hat die Metro damit zu tun?«
Denk schneller Brennan. »Es ist eine Art Spiel für ihn. Er ist der Jäger, die Frau die Beute. Die Wohnung in der Rue Berger ist sein Jagdversteck, von dem aus er die Frauen über die Anzeigen herausfindet, sich an sie anschleicht und schließlich tötet. Aber er jagt nur in einem bestimmten Gebiet.«
»Im Umkreis von sechs U-Bahnstationen.«
»Haben Sie eine bessere Idee?«
»Warum ausgerechnet Immobilienanzeigen?«
»Warum? Weil eine Frau, die allein zu Hause ist, ein gutes Opfer abgibt. Und wenn das Haus zum Verkauf steht, dann ist sie darauf vorbereitet, daß Leute kommen und es sich ansehen. Vielleicht ruft er an, bezieht sich auf die Anzeige, und schon öffnen sich ihm alle Türen.«
»Und weshalb gerade sechs U-Bahnstationen?«
»Keine Ahnung. Der Kerl ist eben wahnsinnig.«
Brillante Antwort, Brennan.
»Er muß sich in der Stadt verdammt gut auskennen.«
Darüber dachten wir beide eine Weile nach.
»Ein U-Bahn-Angestellter?«
»Taxifahrer?«
»Jemand von den Stadtwerken?«
»Oder von der Polizei?«
Gespanntes Schweigen.
»Brennan, ich kann mir nicht –«
»Nein, ich auch nicht.«
»Und was ist mit Trottier und Damas? Die passen nicht ins Schema.«
»Stimmt.«
Schweigen.
»Gagnon wurde in der Innenstadt gefunden. Damas in St. Lambert, Trottier in St. Jerome. Wie macht der Kerl das?«
»Keine Ahnung, Ryan. Aber beide Theorien, sowohl die mit den Metrostationen als auch die mit den Immobilienanzeigen, treffen auf jeweils drei der fünf Opfer zu. Und St. Jacques, oder wie die Ratte auch heißen mag, paßt zu beiden. Sein Unterschlupf ist in der Nähe der Berri-UQAM-Station, und er sammelt Kleinanzeigen. Da sollte man doch weiter ermitteln.«
»Ja.«
»Vielleicht sollten Sie sich die Anzeigen, die St. Jacques aufgehoben hat, einmal genauer ansehen.«
»Ja.«
Plötzlich kam mir noch ein anderer Gedanke.
»Wie wäre es mit einem Persönlichkeitsprofil? Jetzt haben wir doch genügend Einzelheiten, um eines erstellen zu lassen.«
»Liegt voll im Trend.«
»Aber es könnte hilfreich sein.«
Ich glaubte, seine Gedanken am anderen Ende der Leitung lesen zu können.
»Claudel muß ja nichts davon erfahren«, sagte ich. »Ich könnte mich inoffiziell noch ein wenig umhören und nachsehen, ob es sich lohnt. Bei den Morden an Morisette-Champoux und Adkins haben wir einen Tatort, und bei den anderen Toten wissen wir, wie der Täter sie zerstückelt und wo er die Leichen versteckt hat. Ich glaube, damit könnten sie schon etwas anfangen.«
»Wer? Das amerikanische FBI?«
»Ja.«
Ryan schnaubte verächtlich. »Die haben doch soviel zu tun, daß sie sich um eine Anfrage aus Kanada erst nach dem Jahr Zweitausend kümmern werden.«
»Ich kenne jemanden in Quantico.«
»Das hatte ich auch nicht anders erwartet.« Er seufzte. »Na schön. Warum nicht? Aber fragen Sie nur ganz unverbindlich an, und veranlassen Sie noch nichts. Das offizielle Amtshilfeersuchen muß von Claudel oder mir kommen.«
Eine Minute später wählte ich eine Nummer in Virginia, fragte nach Samuel Dobzhansky und wartete. Kurze Zeit später sagte man mir, daß Mr. Dobzhansky leider nicht im Haus sei. Ich hinterließ eine Nachricht.
Dann versuchte ich es bei Parker
Weitere Kostenlose Bücher