Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
und ich sahen die Dinger gleichzeitig. Es waren zwei braune Objekte auf der Küchentheke, die inmitten von Fettflecken auf zwei Fetzen Küchenkrepp lagen. Die Fliegen umschwirrten sie nervös, landeten kurz darauf und hoben wieder ab. Links daneben lag ein Latexhandschuh, der aussah wie das Gegenstück zu dem, den wir in Gabbys Grab gefunden hatten. Wir traten näher und verscheuchten die Fliegen.
Als ich die beiden verschrumpelten Objekte sah, mußte ich an die Käfer und Spinnen in der Friseursäule denken, deren vertrocknete Füßchen sich im Tod zusammengekrampft hatten. Was hier auf der Küchentheke lag, hatte allerdings nicht das Geringste mit Spinnen oder anderen Insekten zu tun. Ich wußte genau, was es war, denn ich hatte die Pendants dazu auf mehreren Photos gesehen.
»Das sind Pfoten.«
»Was?«
»Pfoten von einem Tier.«
»Sind Sie sicher?«
»Drehen Sie eine davon um.«
Wieder brachte Ryan seine Kugelschreiber zum Einsatz.
»Sehen Sie, hier sind die Enden der Unterarmknochen.«
»Was macht er denn mit diesen Pfoten?«
»Woher soll ich denn das wissen, Ryan?« sagte ich und dachte an Alsa.
»Du meine Güte.«
»Sehen Sie mal im Kühlschrank nach.«
»Großer Gott.«
Im Kühlschrank lag der zu den Pfoten gehörende Kadaver. Er war abgehäutet und mit durchsichtiger Plastikfolie umwickelt. Dahinter waren noch weitere tote Tiere.
»Was für Tiere sind das?« fragte Ryan.
»Schwer zu sagen ohne Fell, aber ich würde auf kleine Säugetiere tippen. Pferde sind das jedenfalls nicht.«
»Darauf wäre ich selber nie gekommen, Brennan.«
Bertrand war inzwischen hinter uns getreten und fragte: »Was haben wir denn hier Schönes?«
»Tote Tiere«, antwortete Ryan mit einer Stimme, die seine Konsterniertheit verriet. »Und den zweiten Latexhandschuh.«
»Vielleicht ernährt sich der Kerl von überfahrenen Tieren«, sagte Bertrand.
»Vielleicht. Vielleicht macht er aber auch Lampenschirme aus Menschenhaut. Ich habe jedenfalls genug gesehen. Ich will, daß diese Wohnung dichtgemacht und alles, was hier drin ist, konfisziert wird. Schafft alles ins Labor, Besteck, Mixer und das Zeug aus dem Kühlschrank. Vergeßt den Abfalleimer nicht. Und dann möchte ich, daß jeder Quadratzentimeter hier auf Fingerabdrücke untersucht wird. Wo bleibt bloß Gilbert so lange?«
Ryan ging zu einem Telefon, das neben der Tür an der Wand hing.
»Moment mal«, sagte ich. »Hat dieser Apparat vielleicht einen Knopf zur Wahlwiederholung?«
Ryan nickte.
»Dann drücken Sie ihn.«
»Ist wahrscheinlich die Nummer von seinem Pfarrer oder seiner Großmutter«, meinte Bertrand.
Ryan drückte den Knopf mit dem Kugelschreiber. Wir hörten eine Abfolge von sieben Wahltönen, gefolgt von vier Rufzeichen. Schließlich kam eine Stimme aus dem Hörer, und die Angst, die sich den ganzen Tag über in mir zusammengebraut hatte, stieg mir so rasch in den Kopf, daß mir davon ganz schwindelig wurde.
» Veuillez laisser votre nom et numéro de téléphone. Je vais vous rappeler le plutôt possible. Merci. Bitte hinterlassen Sie Namen und Rufnummer, ich rufe Sie so bald wie möglich zurück. Danke. Hier spricht Tempe Brennan.«
36
Der Klang meiner eigenen Stimme traf mich wie ein Schlag. Meine Knie wurden weich, und mein Atem kam in abgehackten Schüben.
Ryan geleitete mich zu einem Stuhl, brachte mir ein Glas Wasser und stellte keine Fragen. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich dort saß und in mir nichts als Leere spürte. Schließlich hatte ich mich wieder so weit im Griff, daß ich mich der Realität stellen konnte.
Tanguay hatte mich angerufen. Aber warum? Und wann?
Ich sah, wie Gilbert Gummihandschuhe anzog und den Abfalleimer durchsuchte. Er zog etwas heraus und legte es in die Spüle.
Hatte Tanguay mit mir sprechen wollen? Oder mit Gabby? Was hatte er sagen wollen? Oder hatte er nur kontrolliert, ob ich zu Hause war?
Ein Photograph ging von Zimmer zu Zimmer. Sein Blitz erhellte immer wieder für Sekundenbruchteile die düstere Wohnung.
War Tanguay der Anrufer gewesen, der auf meinem Anrufbeantworter in letzter Zeit immer wieder eingehängt hatte?
Ein Techniker mit Gummihandschuhen und weißem Overall steckte Bücher in Plastikbeutel, die er markierte und versiegelte. Ein anderer stäubte weißes Pulver über die rötlich-schwarz lackierten Regale, ein dritter räumte in braunes Papier eingeschlagene Päckchen aus dem Kühlschrank in eine mitgebrachte Kühltasche.
War Gabby hier gestorben? War das, was ich jetzt sah,
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