Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
Gabbys Mutter an, aber sie stand unter Beruhigungsmitteln und konnte nicht ans Telefon kommen. Mr. Macaulay sagte mir, daß die Beerdigung am Donnerstag stattfinden würde, vorausgesetzt, die Polizei gab die Leiche rechtzeitig frei.
Eine Zeitlang saß ich da und weinte, wobei mein Körper wie ein Metronom hin und her schwankte. Die Dämonen in meinen Adern schrien nach Alkohol. Freude und Schmerz, wie nahe lagen sie beieinander! Füttere uns. Betäube uns. Vertreibe den Schmerz.
Aber ich vertrieb ihn nicht. Das wäre zu einfach gewesen. Es steht ohnehin schon null-vierzig, also verschlage auch den letzten Ball, schüttle deinem Gegner die Hand und dann gönne dir ein kühles Bier. Aber das Leben war nun mal etwas anderes als Tennis. Wenn ich dieses Spiel verlor, würde ich meinen Beruf, meine Freunde und meine Selbstachtung verlieren. Da konnte ich mich ja gleich von St. Jacques-Tanguay umbringen lassen.
Ich würde nicht nachgeben. Weder dem Alkohol noch diesem Wahnsinnigen. Das war ich Gabby ebenso schuldig wie meiner Tochter und mir. Ich blieb also nüchtern und wünschte mir, daß Gabby noch am Leben wäre und mit mir reden könnte. Mehrmals ging ich ans Fenster und schaute nach, ob der Streifenwagen, der mein Haus bewachte, auch wirklich noch da war.
Am Montag gegen halb zwölf Uhr mittags rief mich Ryan an. LaManche war mit der Autopsie fertig. Gabby war erdrosselt worden. Obwohl die Leiche bereits ziemlich verwest gewesen war, hatte er die Spuren des Drosselwerkzeugs an ihrem Hals gefunden. Ober- und unterhalb davon waren eine ganze Reihe von Abschürfungen und Furchen zu sehen, außerdem waren am Hals Hunderte von kleinen Blutgefäßen geplatzt.
Ryans Stimme wurde immer leiser, und ich stellte mir vor, wie Gabby verzweifelt nach Luft gerungen hatte. Hör auf damit. Gottseidank hatten wir ihre Leiche so schnell gefunden. Ich hätte niemals ihre Knochen untersuchen können, allein schon der Gedanke daran war unerträglich.
»… war gebrochen. Er muß eine Art Kette oder ähnliches verwendet haben, denn die Spuren hatten ein spiralförmiges Muster.«
»Wurde sie vergewaltigt?«
»Das konnte LaManche wegen der fortgeschrittenen Verwesung nicht feststellen. Sperma hat er allerdings keines gefunden.«
»Wann ist sie gestorben?«
»LaManche meint, daß sie seit mindestens fünf und höchstens zehn Tagen tot ist.«
»Ein ziemlich langer Zeitraum.«
»Er meint, daß es bei diesem Wetter und der flachen Grablage eher kürzer als länger gewesen sein dürfte.«
Mein Gott, vielleicht hatte er sie dann noch ein paar Tage in seiner Gewalt gehabt.
»Haben Sie in ihrer Nachbarschaft herumgefragt?«
»Niemand hat sie in letzter Zeit gesehen, aber sie war da, das konnten wir bei der Untersuchung ihrer Wohnung feststellen.«
»Gibt es was Neues von Tanguay?«
»Halten Sie sich gut fest. Der Kerl ist Lehrer. In einer kleinen Schule drüben auf West Island.« Ich hörte das Rascheln von Papier. »St. Isidor heißt die Schule. Er war dort seit 1991 angestellt. Laut Anstellungsvertrag ist er 28 Jahre alt, ledig, und unter ›nächste Verwandte‹ hat er ›keine‹ eingetragen. Wir überprüfen alle seine Angaben. Seit 91 wohnt er in der Rue Seguin. Die Vermieterin glaubt, daß er vorher irgendwo in den Vereinigten Staaten gelebt hat.«
»Wie steht’s mit Fingerabdrücken?«
»Jede Menge. Wir haben sie durch den Computer gejagt, aber sie sind nicht registriert. Heute morgen habe ich sie ans FBI in die Staaten geschickt. Vielleicht haben die ja was über ihn.«
»Und in dem Latexhandschuh aus seiner Küche? Haben Sie da auch Abdrücke gefunden?«
»Zwei komplette Abdrücke von Fingern und einen verschmierten von der Handfläche.«
Ich sah ein Bild von Gabby vor mir. Einen Plastikbeutel. Einen weiteren Handschuh. Ich schrieb das Wort »Handschuh« auf den Notizblock neben dem Telefon.
»Wo hat er studiert?«
»An der Bishop’s University. Bertrand ist schon nach Lennoxville gefahren, und Claudel versucht, an der Schule etwas über Tanguay zu erfahren, hatte aber bislang kein Glück. Jetzt, in den Sommerferien, ist dort niemand außer dem Hausmeister, und der ist an die hundert Jahre alt.«
»Haben Sie in Tanguays Wohnung irgendwelche Namen gefunden?«
»Keine. Und auch keine Bilder. Kein Adreßbuch, keine Briefe. Der Kerl muß in einem sozialen Vakuum leben.«
Eine ganze Weile dachten wir über das Gesagte nach und schwiegen.
»Vielleicht erklärt das ja seine ungewöhnlichen Hobbys«, sagte Ryan
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