Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
Fußtritt auf.
Die Tür schlug drinnen an die Wand und blieb halb offen stehen. Ich horchte angestrengt, ob sich jemand bewegte, hörte aber nur das unregelmäßige Summen und meinen eigenen Herzschlag. Bzzzzz. Bzz. Da dumm. Da dumm.
Ein unheimlicher Lichtschimmer drang aus der halboffenen Tür, begleitet von einem leisen Gurgeln.
»Ich habe die Fische gefunden«, verkündete Ryan und ging durch die Tür.
Drinnen betätigte er mit seinem Kugelschreiber den Lichtschalter. Im hellen Licht sahen wir, daß wir im Schlafzimmer waren. Ein Einzelbett mit einer in Indianermustern bedruckten Tagesdecke. Auf dem Nachttisch Lampe, Wecker und ein Nasenspray. Neben dem Schlafzimmer ein kleines Badezimmer. Ein Fenster mit dicken Vorhängen und Blick auf eine Ziegelmauer.
Das einzig ungewöhnliche an diesem Schlafzimmer waren die Aquarien an der Rückwand. Mathieu hatte recht gehabt, sie waren wirklich fantastique. Dunkelblaue, zitronengelbe und schwarzweiß gestreifte Fische schwammen zwischen rosa und weißen Korallen und grünen Wasserpflanzen herum. Jedes dieser kleinen Ökosysteme war von bläulichem Licht erleuchtet und wurde von einer Sonate gurgelnder Luftblasen begleitet.
Gebannt starrte ich auf die Aquarien und konnte direkt spüren, wie sich in meinem Unterbewußtsein eine Idee formte. Mit gutem Zureden versuchte ich, ihr zum Durchbruch zu verhelfen. Worum geht es? Um Fische? Aber sie wollte nicht heraus.
Ryan ging um mich herum und benützte seinen Kugelschreiber, um den Duschvorhang zur Seite zu schieben, den Medizinschrank zu öffnen und zwischen dem Fischfutter und den Netzen, die in der Nähe der Aquarien lagen, herumzustochern. Dann wickelte er sich ein Handtuch um die Hand und zog die Schubladen der Kommode auf, in denen er mit dem Kugelschreiber Unterwäsche, Socken, Hemden und Pullover hochhob.
Vergiß die Fische, Brennan. Was auch immer für eine Idee in meinem Kopf herumgeisterte, sie war so flüchtig wie die Luftblasen in den Aquarien, die quirlig an die Wasseroberfläche stiegen.
»Haben Sie was gefunden?« fragte ich Ryan.
Er schüttelte den Kopf. »Nichts Besonderes. Aber ich will der Spurensicherung nicht ins Handwerk pfuschen, und deshalb schaue ich nur ganz oberflächlich. Lassen Sie uns noch rasch die anderen Zimmer durchsehen, dann räume ich Gilbert das Feld. Ganz offensichtlich ist Tanguay nicht hier und da schadet es nichts, wenn wir diese Wohnung durchsuchen.«
Wir gingen zurück ins Wohnzimmer, wo Bertrand gerade den Fernseher untersuchte.
»Ein Sony Trinitron«, sagte er. »Der Kerl weiß, was gut ist.«
»Vermutlich braucht er ihn, um Jacques Cousteau zu sehen«, sagte Ryan geistesabwesend und ließ mit angespanntem Körper die Blicke durch den halbdunklen Raum schweifen. Heute sollte uns niemand überraschen.
Ich ging hinüber zu den Regalen und sah mir die Bücher an. Die Bände waren, ebenso wie der Fernseher, ziemlich neu und deckten eine beeindruckende Reihe von Gebieten ab. Ich sah eine Menge wissenschaftlicher Titel zu den Themen Ökologie, Fisch- und Vogelkunde, Psychologie und Sex. Tanguay schien einen ziemlich eklektischen Geschmack zu haben und interessierte sich unter anderem offenbar für Buddhismus, Scientology, Archäologie, die Kunst der Maori, die Holzschnitzereien der Kwakiutl, Samurais, Kunstwerke aus dem Zweiten Weltkrieg und Kannibalismus.
Neben den gebundenen Büchern befanden sich Hunderte von Taschenbüchern in den Regalen. Ich fand moderne Belletristik auf Englisch und Französisch, darunter auch einige Bücher meiner Lieblingsautoren: Vonnegut. Irving. McMurty. In der Hauptsache aber waren es Kriminalromane und Thriller über brutale Morde, perverse Sexualtäter und gewalttätige Psychopathen. Schon beim Lesen der Titel konnte ich mir lebhaft vorstellen, was in den Klappentexten stand. Neben den Romanen fand ich auch ein ganzes Regal von Sachbüchern über Serien- und Massenmörder. Manson, Bundy, Ramirez, Boden.
»Sieht so aus, als gehörten Tanguay und St. Jacques demselben Buchklub an«, sagte ich.
»Dieses Arschgesicht ist möglicherweise St. Jacques«, meinte Bertrand.
»Nein, dieser Typ hier putzt sich die Zähne«, bemerkte Ryan.
»Ja, aber nur, wenn er sich gerade Tanguay nennt.«
»Wenn er all das gelesen hat, dann hat er enorm breit gefächerte Interessen«, sagte ich. »Außerdem liest er in beiden Sprachen.« Ich blickte hinüber zum Bücherregal. »Und er ist ein unglaublich zwanghafter Mensch.«
»Was ist denn auf einmal in Sie
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