Tote lügen nicht: 1. Fall mit Tempe Brennan
ersetzen. Solche Sachen eben.«
»Ich nehme an, Detective Bertrand hat Sie bereits gefragt, ob sich auf dem Klostergelände ein alter Friedhof befindet, Pater Poirier.«
Eine Pause. »Nein. Nein. Es gibt hier keinen Friedhof.« Er schüttelte den Kopf so heftig, daß ihm die Sonnenbrille auf der Nase verrutschte. Einer der Bügel löste sich vom Ohr, und die Brille bekam Schlagseite wie ein Schiff auf hoher See.
»Hier war immer nur das Kloster. Niemand wurde hier begraben. Aber ich habe unseren Archivar angerufen und ihn gebeten, zur Sicherheit noch einmal nachzuschauen.« Während er sprach, schob er sich sorgfältig die Brille zurecht.
»Wissen Sie, weshalb wir hier sind?«
Poirier nickte, und die Brille verrutschte wieder, diesmal nach unten. Er sah aus, als wolle er etwas sagen, schwieg dann aber doch.
»Okay«, sagte Ryan, während er den Block zuklappte und in die Tasche steckte. »Wie sollen wir Ihrer Meinung nach vorgehen?« Die Frage war an mich gerichtet.
»Ich werde Ihnen zeigen, was ich gefunden habe. Wenn wir das geborgen haben, lassen Sie die Hunde nach weiteren Leichenteilen suchen.«
Ich hoffte, daß meine Stimme zuversichtlicher klang, als ich mich fühlte. Mist. Was wäre, wenn es hier gar nichts zu finden gäbe?
Ryan ging hinüber zu dem Mann im Overall. Der Schäferhund sprang ihm entgegen und beschnüffelte seine Hand. Ryan streichelte ihn, während er mit dem Hundeführer sprach. Dann kam er zu uns und ging voraus in Richtung Tor. Während wir ihm folgten, blickte ich mich unauffällig um und suchte nach Spuren meiner gestrigen Anwesenheit. Ich fand keine.
Wir warteten am Tor, während Poirier einen großen Schlüsselring aus seiner Jackentasche zog und daran einen Schlüssel suchte. Dann nahm er das Vorhängeschloß und rüttelte demonstrativ daran, so daß die Kettenglieder klirrten und sich ein Schauer von Rostflocken von den alten Eisenstäben löste. Ich konnte mich nicht erinnern, das Schloß zugedrückt zu haben.
Als Poirier das Tor öffnete, quietschte es leise, aber nicht so durchdringend, wie ich es in Erinnerung hatte. Dann trat er einen Schritt zurück, und alle warteten darauf, daß ich das Grundstück betrat. La Manche hatte noch immer kein Wort gesagt.
Ich zog meinen Rucksack höher auf die Schultern und ging an dem Priester vorbei in die Zufahrt. Jetzt, im klaren, hellen Morgenlicht, sah das Wäldchen überhaupt nicht mehr bedrohlich aus. Die Sonne schien durch die Blätter und Nadeln der Bäume, und die Luft roch intensiv nach frischem Harz. Es war ein Geruch, der mich an Bootshäuser und Ferienlager erinnerte und nicht an Leichen und Nachtgespenster. Ich ging langsam und suchte jeden einzelnen Baum und jeden Quadratmeter des Bodens nach abgebrochenen Zweigen, niedergetretenen Pflanzen, frisch aufgeworfener Erde oder anderen Anzeichen menschlicher und insbesonders meiner Aktivität ab.
Mit jedem Schritt wurde meine Unruhe größer, und mein Herz fing an, unregelmäßig zu schlagen. Was wäre, wenn ich das Vorhängeschloß nicht zugedrückt hätte? Was, wenn nach mir noch jemand in dem Gelände gewesen wäre? Was war hier geschehen, nachdem ich gegangen war?
Irgendwie kam es mir vor, als wäre ich an einem Ort, an dem ich zwar noch nie gewesen war, den ich aber von Beschreibungen und Photographien her kannte. Ich versuchte, den Pfad zu finden, der von der Zufahrt abgegangen war. Meine Erinnerung war getrübt wie ein halb vergessener Traum. Im großen und ganzen waren mir die Ereignisse der vergangenen Nacht zwar noch im Gedächtnis, aber bei den Feinheiten haperte es doch gewaltig. Ich betete leise darum, doch endlich etwas zu entdecken, was meiner Erinnerung auf die Sprünge half.
Mein Gebet wurde erhört, und zwar in Form von Handschuhen. Ich hatte ganz vergessen, daß ich damit zwei Astgabeln markiert hatte, aber jetzt leuchteten mir drei weiße Finger genau auf Augenhöhe entgegen. Ja! Ich betrachtete die umliegenden Bäume und fand in einem Meter Höhe den zweiten Handschuh an einem Zweig hängend. Urplötzlich erinnerte ich mich daran, wie ich mit zitternden Händen versucht hatte, in der Dunkelheit die Handschuhe an den Bäumen zu befestigen. Ich zollte mir selbst ein dickes Lob für meine Umsicht und tadelte mich dafür, daß ich mich nicht mehr daran erinnert hatte. Irgendwie glaubte ich zwar, daß ich die Handschuhe weiter oben in die Astgabeln gesteckt hatte, aber vielleicht waren mir die Bäume in der Nacht einfach viel größer vorgekommen.
Zwischen
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