Tote Maedchen schreiben keine Briefe
Den Luxus eines heißen Bads hatte ich nicht mehr, seit ich von zu Hause weg bin.«
Sie legte das Handtuch beiseite und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. »Danke, Sunn, ich fühle mich wie ein neuer Mensch.«
Ich lächelte. Kein Witz. »Ich habe lauter gute Ideen.« Ich rollte mich vom Bett und stand auf. »Wir sind beim Essen gar nicht bis zu den Brownies gekommen. Ich mache uns Eistee dazu. Ein Gespräch über die Familienprobleme verlangt nach außerordentlichen Maßnahmen.«
»Schokolade, die Wunderdroge.« Jazz schlug mit dem Handtuch nach mir. »Meine Schwester, das Genie.«
Ich wich dem Handtuch aus und flitzte aus dem Zimmer. Als ich die Treppen hinuntersprang, wurde mir bewusst, dass ich lächelte.
Ich schnitt die Brownies und ordnete sie auf einem Teller an, ließ das Eis mit der Karamellcreme für zwanzig Sekunden in der Mikrowelle weich werden und goss den Tee ein. Die Eispackung platzierte ich mit zwei Löffeln in der Mitte des Tisches. Daneben stellte ich zwei flache Schälchen. Den Boden des einen zierte ein Bild von Pu, dem Bären, den des anderen ein Bild von I-Ah. Von frühester Kindheit an waren das unsere Eisschälchen gewesen. Ich wollte sehen, wie viel Reynolds-Familienwissen das Mädchen sich angeeignet hatte. Anschließend stellte ich die Teegläser neben die Schüsselchen und zu guter Letzt kam mir noch der Gedanke, zwei Stängel von der Minzpflanze abzubrechen, die in einem Topf auf dem Fensterbrett stand, und sie in die Gläser fallen zu lassen.
Jazz erschien in der Küche. Sie trug dieselben Jeans, aber ein anderes T-Shirt. »Schweig still, mein Herz - Eis mit Karamellcreme ...« Sie grinste mich an. »Ich denke, ich habe bald mein altes Gewicht wieder.« Dann zog sie einen Stuhl zurück und griff nach einem Schälchen - das mit I-Ah. Falsch.
Sie ließ einen Brownie ins Schälchen plumpsen, begrub ihn unter Eiscreme und löffelte drauflos. »Gestärkt mit Brownies, Eis und Karamell, könnten wir selbst einen Riss in der Welt kitten.« Als sie an ihrem Tee nippte, rümpfte sie die Nase und fischte mit Daumen und Zeigefinger den Minzstängel heraus und legte ihn auf den Rand des Schälchens.
Einen Moment lang war ich traurig, dass das Mädchen den Jazz-Test nicht bestanden hatte.
»Da ist ja der alte Toulouse!« Jazz sprang vom Stuhl auf und ging zum Kühlschrank. »Hey, Toulouse. Na, thronst du immer noch wie ein Geier auf dem Kühlschrank?« Sie streichelte dem Kater über die Ohren und kraulte ihn unter dem Kinn. »Wie geht's dir, alter Junge? Ich weiß, dass du mich vermisst hast.«
Toulouse schnurrte und seine Schwanzspitze zuckte. Dann rollte er sich auf den Rücken und schlug mit den Tatzen nach Jazz' Fingern.
»Oh, du drehst dich sogar auf den Rücken für mich? Du musst mich wirklich sehr vermisst haben.« Sie kraulte den Bauch des Katers. »Tut mir leid, Toulouse, aber mein Eis schmilzt. Ich lass dich dann das Schälchen auslecken.«
Sie kehrte an den Tisch zurück und aß noch einen Löffel Eiscreme. »Ich habe Rhonda und ihrem Freund Emory von Toulouse erzählt. Sie fanden es total lustig, dass er immer auf dem Kühlschrank sitzt. Wir haben uns sogar eine kleine Szene mit Toulouse für unseren Schauspielkurs ausgedacht. Darin hat ein Mädchen einen Streit mit ihrem Freund. Sie vergleicht ihn mit der Katze ihrer Mitbewohnerin. Die Katze möchte gestreichelt werden, lässt aber nicht zu, dass jemand sie festhält. Das war eine coole Szene.«
Und da verstand ich, wie das Mädchen es angestellt hatte. Ich musste an Jazz' Tagebuch im Nachttisch rankommen.
»Erzähl mir von Rhonda. Und Emory. Was ist das eigentlich für ein Name, >Emory«, hakte ich nach.
»Rhonda und ich haben uns im Schauspielunterricht kennengelernt. Sie ist bei mir eingezogen, weil die Kosten für mich allein zu hoch waren. Sie war mit Emory zusammen. Er hat ein wenig gemodelt. Er sah aus wie ein nordischer Gott. Blond, blauäugig, unglaublich schön. Rhonda hat ihn überredet, mit uns zum Schauspielunterricht zu gehen.«
Jazz nahm noch einen Brownie, lud Eiscreme darauf und fuhr fort.
»Ich habe ihn oft wegen seines Namens aufgezogen. Für mich klang der wie erfunden - Emory Emerson, ich bitte dich! Ich habe ihm gesagt, das klingt nach einer von diesen kitschigen Südstaatenschnulzen. Aber er hat versichert, Trailerpark Gothic würde es sehr viel besser treffen als Südstaaten-Dekadenz. Er war ein fantastischer Schauspieler.«
»Ja? Was war so besonders an ihm?«, fragte ich.
»Oh
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