Tote Männer Milch (German Edition)
Verpackung.
„Ein Filmapparat!“, stellte sie verblüfft fest.
Behutsam nahm sie die Kamera noch einmal zur Hand, um ihren wertvollen Gewinn eingehend zu bewundern. Sie gönnte sich ein triumphierendes Schmunzeln, als sie das Objektiv enttarnte, das sich hinter einer Plastikabdeckung versteckte. Das beigefügte Leinenband zu befestigen, welches dazu diente, die Kamera um den Hals zu tragen, bestärkte Isolde in ihrem Selbstbewusstsein, auch den technischen Raffinessen gewachsen zu sein. Mit der Begeisterung eines Abc-Schützen, vergrub sie sich in die Gebrauchsanweisung. Sie las und probierte, las und probierte. Bis sie nicht mehr las und nur noch probierte. Bereits nach einer halben Stunde war Isolde auf den neuesten technischen Stand der Filmkunst und in der Lage, die Kamera zu bedienen. Sie nahm auf, was sie für dokumentarisch wertvoll hielt, ohne dabei den professionellen Aspekt zu vernachlässigen. Sie filmte ihre Vitrine, in der ihre Pokale standen, die sie als Bogenschützin eingeheimst hatte. Zuerst in der Totalen, dann in der Nahaufnahme. Zoomte auf die eingravierte Jahreszahl, ergänzte ihre Aufnahmen mit ein paar informativen Worten und bemühte sich, die Kamera mit ruhiger Hand zu führen. Wenn sie nicht zufrieden war, löschte sie die Aufnahmen und versuchte es aufs Neue. Isolde war ehrgeizig, wollte keine halben Sachen machen. Zwei Stunden waren bereits verstrichen. Sie war gerade dabei, die letzte von zwanzig Urkunden zu filmen, die eingerahmt und in Zweierreihen über ihren Sofa hingen, als sie die ersten Ermüdungserscheinungen verspürte. Sie beschloss eine kreative Pause einzulegen. Achtsam stellte sie die Kamera auf dem Tisch ab, schwang ihre Beine auf die Couch, um sich ein Nickerchen zu genehmigen. Sie seufzte zufrieden, als sie die wohlige Wärme der Sonnenstrahlen spürte, die über ihr Gesicht tänzelten. Genüsslich schloss sie ihre Augen während sie in Gedanken nach weiteren Motiven suchte.
Ich werde meinen Garten filmen, war der erste Gedanke, als sie keine halbe Stunde später wieder putzmunter erwachte.
„Traumhaft, wunderschön“, schnurrte Isolde entrückt.
Ihre Kamera war konzentriert auf Margit Merrid gerichtet, eine perlweiße Beetrose, die sich durch einen starken betäubenden Duft auszeichnete. Langsam zoomte sie auf die Blüten, um den rosa Hauch einzufangen, der für diese Rosensorte typisch ist. Dabei fiel ihr auf, dass einige Blüten oberhalb des Strauches abgeschnitten waren. Sie stutzte, ohne ihre Dreharbeiten zu unterbrechen.
Isoldes Aufmerksamkeit galt dem bevorstehenden Kameraschwenk – auf Schneewittchen , eine weiße Kletterrose, zu der Isolde eine beinahe schlafwandlerische Zuneigung verspürte. Aber auch Schneewittchen wies eindeutige Schnittverletzungen auf, wie Isolde feststellen musste. Entsetzt unterbrach sie nun doch ihre Filmarbeit und stierte mit sorgendurchfurchter Miene auf ihren geschändeten Kletterrosenstrauch.
„WER WAR DAS?!“
Ihre Worte klangen wie eine Kriegerklärung und ihre Augen waren wie Speerspitzen auf die Thujenhecke gerichtet, aus deren Richtung ein leises Plätschern zu hören war. Isolde glaubte, einen seichten Luftzug von Kokosöl zu wittern, der sich in ihren Nüstern zu einem beißenden Geruch von Vergeltung wandelte. Wie eine Heckenschützin stand Isolde nun mit ihrer Kamera im Anschlag hinter der Tannenmauer und linste an einer lichten Stelle hindurch. Ihre Erzfeindin saß wie eine dicke schwarze Raupe am Rand des Schwimmbeckens. Sie trug einen schwarzen Badeanzug und ölte ungelenk ihr Dekolleté und ihre Arme ein, wobei sie im monotonen Rhythmus vor sich hinlallte und mit ihren Füßen zwanglos im Wasser herumplätscherte. Zu ihrer Rechten, stand eine geöffnete Schnapsflasche. Zu ihrer Linken, ein Fläschchen Sonnenöl. Auf dem Kopf der Erzfeindin thronte ein imposanter Sonnenhut, der verschwenderisch mit Isoldes Rosen dekoriert war.
„Wusst ich’s doch!“
Sie schaltete die Kamera ein, obwohl sie sich nicht ganz sicher war, ob Filmaufnahmen als Beweismaterial vor Gericht akzeptiert wurden.
„Halt doch still, verdammt!“, murrte Isolde gereizt, weil es ihr nicht gelingen wollte, das Diebesgut in einer beweiskräftigen Großaufnahme festzuhalten.
Ihr angepeiltes Objekt war ständig in Bewegung. Entweder gluckerte es aus der Schnapsflasche oder war damit beschäftigt, sich ein merkwürdiges Tier vom Leib zu halten. Eine skurrile Mischung zwischen Fledermaus und Rehkitz, die wie von einer Sprungfeder
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