Tote Männer Milch (German Edition)
angetrieben, herumhopste. Keine Frage, das Tier störte: Isolde bei der Erfassung von Beweismaterial und die Maibach beim Saufen. In seinem scheinbar unstillbaren Bewegungstrieb hatte der Zwergrehpinscher schon einiges angerichtet. Das Fläschchen Sonnenöl war bereits umgeworfen, so dass der Inhalt sich ungehindert auf den Fliesen ausbreiten konnte. Die Maibach störte das nicht. Sie war bereits voll wie eine Strandhaubitze. Sie merkte noch nicht einmal mehr, dass der Hund ihre Designerpantolette zerfledderte. Selbstvergessen saß er schühchenkauend unter einem Holunderstrauch. Isolde hielt es für lohnenswert ihn dabei zu filmen. Zoomte zu ihm heran, nahm seinen Kopf in Großaufnahme auf und merkte sofort, dass mit dem Tier etwas nicht stimmte. Seine Augen waren hervorgequollen, es würgte und zitterte. Der Schuh war verschwunden.
Ausgeschlossen … der wird doch nicht den Schuh…
Der Gedanke blieb unvollendet. Isolde zitterte nun selbst, wenn auch nur vor Aufregung. Herr Doktor Maibach war aus der Terrassentür getreten. Sein Erscheinen zwang zu einem spontanen Kameraschwenk. Teilnahmslos beobachtete er seine Frau, die gerade die leere Schnapsflasche ins Schwimmbecken warf. Er schien müde, unentschlossen. Der offensichtlichen Situation nicht gewachsen. Zaudernd ging er auf sie zu. Sprach sie an. Isolde konnte nicht verstehen was er sagte. Seine Gattin drehte sich zu ihm um. Antwortete. Reichte ihm versöhnlich die Hand entgegen. Er reagierte nicht. Wandte sich ab, um zu gehen.
„Bleib stehen!“, schrie sie ihm in bleiernen Tonfall nach.
Er ging. Überstürzt rappelte sie sich auf, um ihm nachzulaufen. Sie rutschte aus, fiel zu Boden. Ihr Kopf prallte auf den Rand des Beckens. Ein dumpfes Geräusch. Sie bewegte sich nicht mehr. Isolde rang nach Luft. Maibach blieb stehen. Irritiert drehte er sich um. Lief auf seine Frau zu. Warf sich auf die Knie und legte seine Hand abwechselnd auf ihren Hals, ihre Schläfe, dann auf ihr Handgelenk. Vorsichtig drehte er ihren Kopf zur Seite und betrachtete die blutende Wunde, ließ von ihr ab und blickte sich nervös um. Seine Augen tasteten wie Suchscheinwerfer sein unmittelbares Umfeld ab. Der rechte Arm seiner Gattin fiel leblos über den Beckenrand. Ihre Hand platschte ins Wasser. Er zuckte zusammen, wischte sich den Schweiß von der Stirn, lockerte seine Krawatte. Stand wieder auf und ging zögerlich einige Schritte rückwärts. Abrupt drehte er sich um und rannte davon. Isolde hörte eine Autotür zuschlagen – ihr Herz hämmern.
Er ist weg. Einfach abgehauen.
Eine Feststellung, deren Bedeutung sich Isolde erst nach einigen Sekunden erschloss. Ihr Mund fühlte sich ausgedörrt an, ihre Hände waren nassgeschwitzt, ihre Kamera surrte unbeirrt weiter. Hilfe – Hilfe , dachte sie.
Kopflos stürmte sie los. Ihre Beine wollten nicht so recht gehorchen. Sie stolperte mehr als dass sie lief.
Behalt die Nerven! Es ist vielleicht alles nicht so wie du...
Isolde blickte zweifelnd auf den leblosen Körper herab, der vor ihren Füßen lag und auf das seltsame Tier, das sich gierig an der Blutlache seines Frauchens labte.
„Es ist genau so“, stellte Isolde ernüchtert fest.
Er hat sie einfach liegen lassen, absichtlich, unvollendet. Halbfertig!
Die Erinnerung befiel sie plötzlich wie ein heimtückisches Biest, das die ganze Zeit hinter ihr gelauert hatte und schlug mit garstiger Stimme auf sie ein.
„...ältliche Jungfer ... knochiges Elend ... Holzpuppe...“
Isolde schloss die Augen. Sie atmete tief durch lenkte ihre Kraft in ihr Bein, so als würde sie es im autogenen Training ansprechen.
Die Maibach platschte ins Wasser. Der Hund sprang hinterher.
Wie lange braucht ein Mensch, bis er ertrinkt? Drei, maximal fünf Minuten, mehr nicht. Das wusste Isolde. Sie schaute auf ihre Armbanduhr, anschließend ins Wasser. Wie ein Schwimmlehrer, der die Zeit seiner Zöglinge stoppte. Naserümpfend sah sie auf den Hund, der hysterisch am Beckenrand herumstrampelte und sich wie ein aufgezogenes Spielzeug um die eigene Achse drehte, anstatt sein Frauchen zu retten. Ein Bluthund eben, beschied Isolde und wandte ihr Augenmerk der bewusstlosen Gestalt, die mit weit ausgebreiteten Armen halb unter Wasser schwebte. Isolde hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt. Ein Hauch von Verklärung streifte ihr Gesicht. Sie sieht aus wie ein Engel, wie ein böser Engel. Nüchtern verbesserte sie sich in Gedanken: Ein böser, toter...
Isolde stutzte, kniff angespannt die Augen zusammen.
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