Tote Männer Milch (German Edition)
Sache zum Himmel stank. Teilnahmslos verfolgte sie, wie die Tote mit einem Laken abgedeckt wurde, der Arzt seinen Koffer schloss, telefonierte und sich anschließend gesenkten Hauptes Herrn Maibach näherte und ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter legte. Maibach reagierte so, wie man es von einem Menschen in dieser Situation erwartete. Trotzdem versetzte Isolde der Anblick einen Stich. Für einen Moment ereilte sie der böse Verdacht, dass sie vielleicht doch die falsche Schüssel ausgelöffelt hatte. Quatsch! Was hast du denn erwartet? Dass er dem Notarzt vor Freude die Stirnglatze küsst und die Rettungsmannschaft zur Feier des Tages zu einem Glas Sekt einlädt? Sei nicht töricht Weib! Isolde hörte auf, nervös an ihrem Daumen zu nagen. Sie behielt das Geschehen im Auge, während sie sich über ihren Schützling, ernsthafte Gedanken machte:
Er hat seine Frau liegen lassen, das ist Fakt. Er wollte ihr nicht helfen, sonst hätte er gleich über das Telefon Hilfe geholt – er hat es nicht getan. Er ist einfach abgehauen.
Isolde spann konzentriert den Faden weiter. Ich habe das Schlagen seiner Autotür gehört. Isoldes Augen wurden plötzlich schmal. Aber ist er auch wirklich weggefahren? Isolde konnte sich an kein Motorengeräusch erinnern. Das Räderwerk in ihrem Hirn schien sich zu überschlagen. Die Bilder in ihrem Kopf lösten einander in rascher Folge ab, wie in einem alten Acht-Millimeter-Film, abrupt, manchmal unscharf. Isolde ließ ihren gedanklichen Zeitzähler dabei mitlaufen. Zehn Minuten, höchstens, die Beseitigung der Spuren und die Bergung des Hundes mitgerechnet, mehr Zeit hatte sie nicht benötigt. Aber was zum Teufel, hatte ER in den zehn Minuten angestellt, wenn er nicht weggefahren ist? Im Auto gewartet? Aber auf was? Dass seine Gemahlin in der Zwischenzeit das Zeitliche segnet – was sonst, schloss Isolde, aber nur halbherzig. Bildlich versuchte sie sich vorzustellen, wie er wieder aus dem Auto stieg, um sich zum Tatort zurückzuschleichen. Logisch, alle Täter zieht es zurück zu ihren Sündenpfuhl. Weil der Zugang des Gartens durch eine Mauer abgetrennt ist, musste er die Haustür benutzen, damit er über die Terrassentür in den Garten gelangt.
Da war ich aber schon weg – oder nicht? Isolde schluckte. Ihr Blick war erstarrt auf ihren Schützling gerichtet, der ungeniert seiner Verbitterung freien Lauf ließ. Oder war das Gejammer echt? Wenn ja, dann… Isolde erbleichte, ihre Lider flatterten. Ein Mann und eine Frau in Zivil hatten das Grundstück betreten. Isolde nahm sie ins Visier, als hätte sie einen dampfenden Scheißhaufen vor Augen.
„Kripo!“, würgte Isolde.
Der männliche Beamte eilte sogleich auf den Arzt zu. Der Notarzt hatte sich mittlerweile einige Schritte von Maibach entfernt, stand nun rauchend in der Nähe des Schwimmbeckens und genoss tief inhalierend seine Zigarette. Mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen wurde er von dem Beamten begrüßt. Der Notarzt und der Polizist wechselten ein paar aufmunternde Worte miteinander. Isolde schnappte Gesprächsbrocken auf. Es ging um Spuren der letzten Nacht, die sich um einen Kater drehten und um einen Verdacht, der zu schweren Wein betraf.
„Kater … Wein?“, wiederholte Isolde ungläubig die verwehten Worte, während ihre Augen den beiden Männern folgten, die sich zur mutmaßlichen Klärung des Sachverhalts unter den Pavillon verdrückten, unter dem sich eine Sitzgelegenheit befand. Isolde hatte die beiden Männer nicht mehr im Blick und konzentrierte sich auf die junge Beamtin, die sich wesentlich pflichteifriger ihrer Arbeit anzunehmen schien. Sie wandte sich Maibach zu, gab ihm die Hand, zeigte ihren Ausweis, zückte ein Notizbuch und begann, offenbar ohne weitere Umschweife mit ihrer Befragung. Maibach blickte sich hilfesuchend nach dem Arzt um und zog die Decke, die ihm einer der Sanitäter umgelegt hatte, noch etwas fester um seine Schulter. Mit äußerster Anspannung verfolgte Isolde die Gesten ihres mysteriösen Schützlings, die sich vorläufig in einem heftigen Kopfschütteln und einem ratlosen Schulterzucken erschöpften. Ein positives Zeichen, dachte Isolde, und beinahe hätte sie sich mit einem Stoßseufzer die ersehnte Erleichterung verschafft. Aber eben nur beinahe. Maibach wurde nämlich zunehmend gesprächig. Gerade so, als würde er sich um Kopf und Kragen reden. Vielleicht lag es am psychologischen Einfühlungsvermögen der Beamtin oder an ihren blonden langen Haaren, die in
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