Tote Männer Milch (German Edition)
verschieben.“
Vielleicht hört es ja auf, wenn du hier bleibst, dachte Herbert. Isolde schenkte unbekümmert Kaffee nach.
Nie hatte Isolde seinen unausgesprochenen Worten hinterher gelauscht, seiner desinteressierten Miene keinerlei Gefühlskälte unterstellt. Wo er sich schon längst wie lebendig begraben fühlte, ihr Gequassel, wie er es oft gedanklich abtat, für ihn nur lästiges Hintergrundgeräusch war, glaubte Isolde, sich noch in der trauten Sicherheit einer funktionierenden Partnerschaft. Isolde hatte keinen Riecher für den herannahenden Beziehungstod, der schon längst in die Fußspuren ihres Alltagstrotts hineingestapft war.
„Ich muss an die frische Luft!“, erklärte Herbert entschieden.
Isolde trank hektisch noch einen Schluck Kaffee und griff mit der anderen Hand nach ihrem Rucksack und dem Regenschirm.
„Warte, der Berg läuft dir nicht weg!“, rief sie Herbert nach.
Aber Herbert hatte die Herberge schon verlassen. Ohne auf Isolde zu warten, schlug er zielstrebig seinen Wanderweg ein.
„Lauf doch nicht so schnell“, schimpfte Isolde.
Sie hatte den Regenschirm aufgespannt und versuchte, ihren Mann einzuholen, der keinerlei Anstalten unternahm, seine Schritte zu mäßigen.
„Herrgott nochmal, man könnte meinen du bist auf der Flucht“, keuchte Isolde.
„Wie recht du doch hast“, brummte Herbert vor sich hin und stapfte unbeirrt weiter.
Isolde war dermaßen damit beschäftigt ihren Mann nicht aus den Augen zu verlieren, dass sie nicht bemerkte, wie sich die Regenwolken mittlerweile aufgelöst hatten und der Himmel aufklarte. Nach etwa einer Stunde Fußmarsch durch verwunschene Felslabyrinthe und steiles Gelände, hatten sie endlich einen Gipfel erreicht, der einen atemberaubenden Ausblick in die Felsschluchten bot.
„Ich kann nicht mehr!“, schnaufte Isolde und ließ sich erschöpft zu Boden fallen.
„Ich auch nicht“, knurrte Herbert, der sich waghalsig auf einen Felsvorsprung gesetzt hatte und selbstvergessen in den Abgrund blickte.
„Was hast du gesagt?“, rief Isolde ihm zu.
„Es hat aufgehört zu regnen!“, gab Herbert gereizt zurück, ohne sich nach Isolde umzudrehen, die immer noch mit aufgespanntem Regenschirm dasaß.
Sie klappte ihren Schirm zusammen und warf einen misstrauischen Blick zu ihrem Mann hinüber.
„Willst du Kaffee?“, schrie sie ihm zu.
„Verdammt, lass mich in Ruhe … geh sterben“, knirschte Herbert und atmete tief durch.
„Hörst du? Ich habe dich was gefragt!“, quengelte Isolde.
„JAAAAAAAA!“, brüllte Herbert plötzlich los.
Sein Schrei erzeugte ein vierfaches Echo.
Isolde fiel vor Schreck beinahe die Thermoskanne aus der Hand. Sie hatte ihre Hand auf ihre Brust gelegt und rang nach Atem.
„Grundgütiger“, schnaufte sie, „das hat sich ja jetzt angehört, als hätte der Teufel mir persönlich geantwortet.“
Isolde raffte sich auf, um ihrem Mann den Becher zu bringen.
„Das ist ja richtig gruslig hier“, flüsterte sie Herbert kleinlaut zu, während sie ihm den Kaffee reichte und mit vorgebeugtem Oberkörper einen ängstlichen Blick in die Schlucht warf.
JETZT! dachte Herbert. Jetzt wäre der richtige Moment! Ein leichter Stoß! Sein Herz raste. Er dachte an die Lebensversicherung, an das Haus, an die Freiheit … an den Neubeginn…
Isolde wich plötzlich zurück, stolperte, kam aus dem Gleichgewicht. Sie sah den Schatten seiner Hand. Seiner hilfreichen Hand, wie Isolde glaubte. Sie versuchte, nach dieser Hand zu greifen, aber sie verfehlte sie um Haaresbreite. Isolde verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings über eine kleine Wurzel.
Scheiße! dachte Herbert und sah aus, als dächte er es laut.
„Hast du dir wehgetan?“, fragte er anstandshalber, ohne Isolde eines Blickes zu würdigen, die sich wieder aufrappelte.
„Nein, habe ich nicht. Aber das hätte auch schiefgehen können!“, fluchte Isolde, während sie sich den Staub von der Hose klopfte. „Stell dir mal vor, ich wäre hinabgestürzt!“
„Gar nicht auszudenken“, brummte Herbert abwesend, während er sehnsüchtig in die Schlucht hinabblickte.
„Geh endlich von dem Felsen weg, das ist gefährlich!“, forderte Isolde.
„Sag mir nicht was ich zu tun habe … nie wieder!! Hast Du mich verstanden!“, brüllte Herbert gereizt.
„Was ist denn mit dir los? Hab ich dir was getan?“
„Nein – Ja, ach verdammt, ich muss mit dir reden! Komm wieder her und setz dich auf den Stein dort!“
„Ich bleibe lieber stehen“, sagte Isolde
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