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Tote Männer Milch (German Edition)

Tote Männer Milch (German Edition)

Titel: Tote Männer Milch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Malina
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kleinlaut.
    „Wie du willst“, erwiderte Herbert bissig.
    „Willst du noch ein Butterbrot, und hast du überhaupt schon deine Tablette genommen?“, zögerte Isolde das geforderte Gespräch hinaus, obwohl sie genau wusste, dass Herbert weder an einem Butterbrot noch an sonst irgendwas interessiert war. Sie witterte die Gefahr im veränderten Klang seiner Stimme.
    „Ich will kein Butterbrot! Und behandle mich nicht wie einen Pflegefall!! Hörst du!“, schrie Herbert wütend.
    „Ich höre“, erwiderte Isolde gestelzt. „Was willst du mir denn nun sagen?“
    Herbert erhob würdevoll seinen Kopf und legte los:
    „…dass ich dich nicht mehr ertragen kann, dass ich mich von dir trennen werde … dass ich eine andere Frau kennen gelernt habe, dass ich diese Frau liebe und…“ Herbert holte noch einmal tief Luft, „dass diese Frau ein Kind von mir erwartet.“
    Isolde, vom ohnmächtigen Schmerz wie gelähmt, starrte auf die Rückenansicht ihres Mannes. Sie konnte nichts sagen, nur denken. Wenn die Frauen verblühen, verduften die Männer . Ihr Blick wanderte auf seinen Hinterkopf, auf dem sich das Haar zu einer Halbglatze gelichtete hatte. Dann weiter auf seinen schlaffen, unförmigen Oberkörper, der mehr Gewissheit verschaffte als erahnen ließ, dass sich unter dem Pullover nur ein altersschwaches Fundament verbarg. Sie wandte ihren Blick ab und sah mit betäubter Gleichgültigkeit über ihn hinweg. Sie sah nur das Weite, den Himmel, das Nirgendwo … Isolde befand sich in jenem Grenzland, wo man noch nicht richtig weiß, ob der Augenblick sich noch im Traum oder bereits in der Wirklichkeit abspielt. Sie wollte es herausfinden, also begann sie zu sprechen, irgendwas…
    „Aber wir gehören doch zusammen…“
    Sie sagte es so leise, dass sie selbst nicht sicher war, die Worte überhaupt ausgesprochen zu haben.
    Herbert hatte sich mittlerweile aufgerichtet. Stand da wie ein Fels in der Brandung. Seinen Kopf noch weiter empor gestreckt und seine Arme unwiderruflich in die Hüfte gestemmt. Isoldes Augen streiften flüchtig sein quadratisches Gesäß, seine dürren O-Beine. Sie dachte an seine Schweißfüße, an seinen krummen Penis, der im versteiften Zustand immer aussah wie ein tropfendes Ölkännchen. Sie vernahm seine Stimme.
    „Wir gehören nicht mehr zusammen!“, hörte sie ihn sagen.
    Ja, das hatte sie genau verstanden.
    Herbert sprach weiter.
    „Ich werde ein neues Leben beginnen!“
    Isolde schwieg. Sie hoffte, auf einen unsichtbaren Regisseur,
    der „STOPP“ schreit, weil der Darsteller den falschen Text spricht. Nach einer langen Pause nahm Isolde das Gespräch wieder auf.
    „Findest du nicht, dass du aus dem Alter raus bist, um dich noch mal ins Abenteuer zu stürzen?“, fragte Isolde gefasst.
    „Ein Mann mit 58 Jahren ist noch nicht alt … das ist nicht so wie bei Frauen“, erklärte Herbert.
    „Bleib bei mir“, sagte Isolde geistesabwesend. „Ich verzeihe dir.“
    Herbert schüttelte entnervt den Kopf und trat ungeduldig von einem Bein aufs andere.
    „Bitte!“, flehte Isolde.
    „Ich will frei sein!“, sagte er beherrscht.
    „Frei wie ein Vogel“, ergänzte Isolde geschwächt.
    Herbert nickte.
    Isolde schüttelte den Kopf.
    Aber du kannst nicht fliegen, dachte Isolde.
    Als hätte Herbert Isoldes Gedanken erraten, drehte er sich abrupt um. Aber da war es schon zu spät. Isolde stand direkt hinter ihm, mit diesem irren Ausdruck im Gesicht, den Herbert an seiner Frau noch nie gesehen hatte. Er erschrak, geriet ins Taumeln, verlor den Halt unter seinen Füßen, spürte den fast flüchtigen Druck von Isoldes Hand auf seiner Brust.
    Isolde schloss die Augen und schrie, im gleichen Moment, als es Herbert tat. Ihre synchronen Schreie erzeugten ein gespenstisches Echo, das nicht ungehört blieb.
     
    Bereits eine halbe Stunde später wurde Isolde gefunden. Zusammengerollt wie eine sterbende Katze lag sie am Boden. Augenscheinlich geistig verwirrt und leise vor sich hin wimmernd, wies sie alle schocktypischen Symptome auf. Unter ärztlichen Beistand wurde Isolde von den tschechischen Behörden um eine Stellungnahme gebeten. Isolde gab sich alle Mühe zu versichern, dass sie keine Ahnung hatte. Die Tschechen hakten auch nicht weiter nach, schließlich wirkte Isolde in ihrer hilflosen Unscheinbarkeit glaubwürdig. Außerdem war Herbert nicht der erste, der von der Teufelsbrücke geflogen ist. Ob freiwillig oder nicht, war sowieso nicht nachprüfbar. Keiner wusste wie viele Seelen da unten

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