Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Insel
gefahren ist?«
    »Er hatte eine Laterne. Ich konnte ihn
sehen, bis er anlegte und unter den Bäumen verschwand.«
    »Können Sie ein Boot steuern?« fragte
ich Ross.
    »Natürlich.«
    »Gut. Wenn es mir gelingt, die Kinder
von ihm zu trennen, dann müssen Sie sie ans Ufer zurückbringen, während ich
versuche, ihn zum Aufgeben zu überreden.« Ich bereute meine Formulierung und
warf Mia einen kurzen Blick zu. Aber sie starrte auf die Bucht hinaus.
Vermutlich suchte sie das Licht von D. A.s Laterne. Als ich ihren Arm berührte,
erschrak sie.
    »Wir brauchen ein paar Sachen«, sagte ich.
»Taschenlampen — die stärksten, die Sie haben. Decken. Verbandszeug, wenn Sie
das haben.«
    Sie nickte und rannte in Richtung Hütte
davon.
    Ross kam näher zu mir und fragte mit
leiser Stimme: »Glauben Sie, wir haben eine Chance?«
    Ich schaute zum Dock hinaus, wo zwei
Lichter verschwommen durch den Nebel sichtbar waren. Ich stellte mir die
dahinterliegende Wasserfläche und das unwegsame Gelände von Hog Island vor. Ich
wünschte, ich hätte die Waffe bei mir, die ich an diesem Morgen weggesperrt
hatte. Nach den Ereignissen der vergangenen Nacht hatte ich gehofft, sie nie
wieder einsetzen zu müssen.
    »Keine sehr große. Aber wir müssen es
riskieren«, sagte ich.
     
     
     

25
     
    Als das Boot über den Grund am Ufer der
Insel schrammte, würgte ich den stotternden Motor ab. Ross sprang auf der
anderen Seite heraus und watete durch das seichte Wasser. Ich ging zum Bug,
stieg auf einen flachen Felsen, und gemeinsam zogen wir das Boot an Land. Zu
unserer Linken lag noch ein Boot: Das blaue Ruderboot, das schon bessere Tage
gesehen hatte. Ross griff nach einer der starken Taschenlampen, die Mia uns
gegeben hatte.
    Sie hielt die Taschenlampe in die Höhe
und leuchtete das Boot vom Heck zum Bug aus. Dann bückte sie sich, und auf
ihrem Gesicht zeichnete sich Besorgnis ab. Sie hielt etwas in die Höhe. Es war
ein haariger weißer Kinderhausschuh.
    Ich schnitt eine Grimasse und griff
unter dem Sitz des Motorbootes nach der anderen Taschenlampe, hob sie in die
Höhe und betrachtete das nebelige Terrain. Der felsige Strand der Insel stieg
zu zerklüfteten Felsen hin an; darüber war bis zum Gipfel alles dicht von
Zypressen und Eukalyptusbäumen überwuchert. Nirgendwo ein Licht. Ich hörte nur
das Ächzen der Äste und das Plätschern kleiner Wellen. Ross stand immer noch am
Ruderboot und umklammerte mit angehaltenem Atem den Schuh.
    Das Geratter des Motors hatte auf der
Herfahrt ein Gespräch praktisch unmöglich gemacht. Nun fragte ich: »Waren Sie
schon einmal hier?«
    Obwohl ich leise gesprochen hatte,
hallten meine Worte überdeutlich wider. Ross schrak zusammen und sagte: »Pst!«
    »Du lieber Himmel, er weiß jetzt
sowieso schon, daß wir hier sind. Der Motor war ja nicht zu überhören.«
    »Entschuldigung, ich bin nervös.« Sie
kam näher zu mir. »Nein, ich war noch nie hier. Als ich aus der Stadt
hierherzog, wollte D. A. mich immer überreden, mit ihm zu kommen. Aber etwas in
der Art, wie er von dieser Insel sprach, hinderte mich daran.«
    »Und die Kinder? Hat er sie schon
einmal mitgenommen?«
    »Oft. Erst in den letzten paar Monaten,
als er so komisch wurde, hat Mia ihm verboten, sie mitzunehmen. Sie kennen die
Insel so gut wie D. A. Er sagte, daß sie wie kleine Ziegen über die Felsen
klettern.«
    »Das ist ja zumindest etwas. Wenigstens
kennen sie die Gegend.«
    »Aber im Dunkeln... D. A. erzählte mir,
daß es auch oben noch ganz felsig ist. Es gibt Wege, aber einige enden ganz
plötzlich. Oben sind große Felsbrocken, wie Stufen, die für Riesen erbaut
wurden. Er ging am liebsten zu einem flachen Felsen auf dem Gipfel. Von dort
konnte er durch die Bäume schauen und die ganze Bucht sehen. Er sagte...«
Fröstelnd hielt sie inne.
    »Was sagte er?«
    »Er sagte, er liege gern auf dem
Felsen... und stelle sich vor, wie es wäre, im Tod endlich Frieden zu finden.«
    Mich erfaßte eine Kälte, die nichts mit
dem Wind zu tun hatte, der aus der Bucht hereinwehte. »Dann ist er vermutlich
dort hinaufgestiegen. Wir müssen versuchen, den richtigen Weg zu finden.«
    Die Flut hatte sich erst vor kurzem
zurückgezogen. Die Felsen waren rutschig. Ich richtete meine Lampe nach unten,
damit wir nicht ausrutschten. Von diesem Abschnitt des Strandes führten zwei
Wege weg — einer verlief parallel zum Ufer, der andere schlängelte sich
zwischen den zerklüfteten Felsen nach oben. Wir nahmen letzteren.
    Als wir höher

Weitere Kostenlose Bücher