Tote Pracht
Zimmer
freigeworden war — war bezaubernd. Der gemütliche Raum mit vielen Pflanzen und
weißen Korbmöbeln, dessen Wände in Gelb-, Gold- und Grüntönen gehalten waren,
zeigte, daß sie in der Lage war, mit wenig Geld ein Meisterwerk der Innenarchitektur
zu schaffen.
Ich nahm den König und legte eine Drei
ab. »Gin.«
Sie blitzte mich an. »Ich habe seit dem
Geben auf diese Karte gewartet.«
»Pech.« Ich schrieb das Ergebnis nicht
einmal auf, sondern ließ meine Hand nur in Richtung der Edelstahlschüssel
wandern, in der die Reste einer Portion Popcorn lagen. Trostessen nenne ich
Dinge wie Popcorn, Makkaroni mit Käse, Milchshakes und Buttertoffees — Essen,
das einen an die Kindheit erinnert und die Welt, immer wenn sie unerträglich
kompliziert zu werden droht, auf einfache Begriffe reduziert.
Rae sagte: »Was ist los — bist du
miesepetrig?«
Ich lächelte über das Wort, das für
mich zu einem Raeismus geworden war. »Ja. Ich habe Gin Rummy satt, obgleich ich
gewinne. Ob Hank wohl je nach Hause geht?«
»Er entwickelt eine richtige
Arbeitswut. Ich glaube, damit lenkt er sich von der Gefahr ab, die ihn
bedroht.« Rae hob die Karten und den Notizblock auf und legte sie auf den
Nachttisch. Sie trug einen alten grau-rot karierten Flanellbademantel und hatte
Festiger im Haar; ihre Haarspitzen standen in fettigen Büscheln in die Höhe.
Als sie sich auf die Kissen fallen ließ, stellte ich fest, daß sie gespannt und
etwas deprimiert zu sein schien.
»Du siehst auch etwas miesepetrig aus«,
sagte ich.
Sie zuckte die Achseln.
»Machst du dir Sorgen um Willie?«
»Nein, eigentlich nicht. Er hatte es
sich für den Abend bequem gemacht, als ich ging. Er hatte einen Western für
Erwachsene — du weißt schon, mit Sex — und einen Zwölferpack Bud. Das reicht
ihm.«
»Habt ihr beide Probleme?«
»Nein. Unsere Beziehung ist nicht so
komplex, als daß es Schwierigkeiten geben könnte. Nein, das ist es nicht. Aber
ich muß mit dir über meine Arbeit sprechen.«
Oh, oh, dachte ich. »Schieß los!« Ich
lehnte mich zurück und stieß mir den Kopf an dem Messingpfosten des Bettes an.
Rae bemerkte es und warf mir ein Kissen zu.
»Also«, sagte sie. »Ich beklage mich
nicht, damit du mich recht verstehst. Du bist eine prima Chefin. Es ist nur...
als ich vor ein paar Tagen im Außendienst war, fühlte ich mich richtig gut. Und
da wurde mir klar, daß ich mich nicht an meine ursprünglichen Pläne halte.
Shar, ich möchte mehr Arbeit übernehmen, meine Stundenzahl erhöhen, damit ich
meine eigene Lizenz bekommen kann. Und ich will mich für den Umgang mit
Handfeuerwaffen qualifizieren. Ich glaube, es ist an der Zeit.«
Ich fühlte ein schmerzliches Ziehen in
der Brust: Das Küken verläßt das Nest. Rae würde nach dem Erhalt ihrer Lizenz
sicher nicht bei All Souls bleiben. Erstens war sie zu klug und
talentiert, um auf ewig meine Zuarbeiterin zu bleiben; zweitens war das der
Plan gewesen, von dem sie sprach. Ich konnte ihr nicht verdenken, daß sie mehr
wollte als ihr recht kleines Gehalt, einen Haufen Schulden, ein Zimmer, das
keine wirkliche Wohnung war, und ein eine Etage tiefer gelegenes Bad, das sie
mit mehreren Leuten teilte. Und ich wollte ihr sicherlich nicht im Weg stehen.
»Ich glaube, du hast recht«, sagte ich.
»Ich habe dir nicht die Verantwortung übertragen, die du übernehmen kannst.
Morgen schauen wir durch, was so anliegt, und ich übergebe dir dann mehr.«
Sie lächelte, erfreut und erleichtert.
Dann schaute sie mich über ihre hochgezogenen Knie hinweg an. »Du scheinst
darüber nicht recht glücklich zu sein.«
»Ich bin froh, daß du in kurzer Zeit
soviel geschafft hast. Irgendwie ist das ja auch ein Kompliment für mich. Aber
du wirst mir fehlen. Ich verlasse mich auf dich. Mit wem soll ich außerdem dann
Gin Rummy spielen oder lange Mittagspausen machen?«
»Mich vermissen? Aber ich gehe doch gar
nicht weg.«
»Ich dachte, du wolltest zu einer
besseren Firma.«
»Shar, das war einmal; damals als Doug
in allem von mir abhängig war. Aber ich brauche nicht mehr soviel Geld. Und ich
fühle mich hier so wohl wie du. Irgendwie ist es die Familie, die ich nie
hatte.« Rae war bei ihrer Großmutter aufgewachsen, nachdem ihre Eltern früh
gestorben waren, und diese Großmutter hatte selbst zugegeben, daß sie diese
Verantwortung nicht gerne trug.
Ich sagte: »Hast du gemerkt, daß du zum
ersten Mal deinen Exmann nicht als ›Doug das Arschloch‹ bezeichnet hast?«
»Ja, vielleicht
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