Tote Stimmen
ging ziellos im Wohnzimmer auf und ab, als ich es hörte.
Ein Telefon klingelte.
Einen Moment stand ich ganz still, schockiert von dem Geräusch. Dann trat ich auf den Flur hinaus.
Woher kam das? Das Geräusch war gedämpft, deshalb fing ich an, zum anderen Ende des Hauses zu gehen, aber so wurde das Klingeln leiser, deshalb blieb ich stehen und kehrte um.
Die Haustür. Das Geräusch kam von dort.
Ich ging zur Tür und schaute durch den Spion. Es war nichts zu sehen. Aber es war so dunkel draußen, dass ich kaum den Garten erkennen konnte.
Tu’s.
Ich holte das Messer heraus und hielt es seitlich nach unten. Mit der anderen Hand nahm ich die Kette ab, dann trat ich zurück und zog die Tür auf.
Die kalte Nachtluft wehte an mir vorbei nach drinnen.
Sprühregen. Sonst nichts.
Das Telefon lag mit matt leuchtendem Display auf der Treppe. Statt es aufzuheben, trat ich in den Regen hinaus und sah mich um. Der Garten war voller Schatten, verschlungenen Formen, die sich fast nicht von der Dunkelheit abhoben. Die Bäume standen nur als graue Skelette zitternd vor dem schwarzen Hintergrund. Trotz des Regens war die Brise fast mild. In der Ferne rauschte und raschelte es.
Ich steckte das Messer in die Tasche und nahm das Handy.
(Nummer unterdrückt)
Ich drückte den Knopf, hielt es ans Ohr und suchte mit den Blicken die Dunkelheit ab. Wenn er in der Nähe war, hätte ich das Leuchten seines Telefons sehen müssen. Aber da war nichts.
»Hallo?«, sagte ich.
Vom anderen Ende kam nicht gleich eine Antwort, aber ich merkte, dass jemand dran war. Ich hörte ein Geräusch wie Wind in der Leitung.
»Beeil dich nächstes Mal ’n bisschen«, sagte er.
Die Stimme war barsch, ungeduldig und hörte sich nicht an, als verstelle sich der Sprecher. Hatte ich diesen Mann jemals zuvor gehört? Sicher war ich nicht, aber ich erkannte ihn nicht.
»Wo ist sie?«, fragte ich.
»Nirgends.«
»Ich will mit ihr sprechen.«
Er lachte. Es klang sehr weit entfernt. »Nein.«
»Wie kann ich wissen, dass sie nicht tot ist?«
»Weil ich kein Mörder bin.« Er spuckte mir die Worte voller Verachtung entgegen. »Sie ist erst seit anderthalb Tagen weg. Weißt du nicht, wie lange es dauert, bis jemand verdurstet?«
Ich erinnerte mich an einen Spruch aus einer Survival-Doku im Fernsehen. Etwas über eine Dreier-Regel. Drei Minuten ohne Luft, drei Stunden ohne Unterschlupf, drei Tage ohne Wasser, drei Wochen ohne Essen. Aber der Körper fing lange davor an abzubauen, und der Schaden wurde immer schwerer. Unumkehrbar. Gar nicht zu reden von den Schmerzen.
Ich verdrängte Toris Bild aus meinem Kopf, gab jedoch keine Antwort.
»Du brauchst nur zu wissen, dass sie allein ist und leidet und dass es so bleiben wird, bis du ihr hilfst. Aber du wirst ihr nicht helfen.«
»Warum tun Sie das?«
»Ich tu gar nichts. Genau wie du.«
»Ich verstehe nicht.«
»Dann streng dich an. Es geht darum, ob du dich dafür entscheidest, ihr Sterben aufzuhalten. Das ist alles. Es ist nicht
kompliziert
, Dave. Wenn du entscheidest, es nicht zu tun, wirst du nie wieder von mir hören.«
»Bis Sie gefunden werden.«
»Selbst wenn sie mich rechtzeitig erwischen, würde ich ihnen nie sagen, wo sie ist. Du hättest sie also dann getötet, oder? Das ist die einzige Chance, die sie je haben wird, am Leben zu bleiben. Du wirst selbst herausbekommen müssen, was wichtig ist.«
»Ich lege nicht auf«, sagte ich.
»Noch nicht.«
Seine Worte klangen einen Moment nach, und ich ahnte hundert andere, die er zurückhielt. In seiner Stimme lag ein solcher Hass, solcher Zorn auf mich. Ich konnte spüren, wie das Gift in der Stille brodelte.
»Was wollen Sie?«, sagte ich.
»Hast du den Brief?«
Ich nickte und fragte mich, ob er mich sehen konnte.
Keine Antwort.
»Ja«, sagte ich.
»Und die E-Mail?«
»Ich habe sie gelöscht.«
»Das weiß ich. Aber dein fetter Freund hat sie doch ausgedruckt.«
Woher wusste er
das?
Ich versuchte, mich an einige der Leute zu erinnern, die ich im Carpe Diem gesehen hatte oder die in der Nähe des Büros vorbeigegangen waren, aber ihre Gesichter waren mir nicht mehr gegenwärtig. Ich wusste nur, dass mir niemand aufgefallen war.
»Den Ausdruck hab ich auch«, sage ich.
»Dann ist das Erste, was du jetzt tust, das Haus zu verlassen und zu deinem Auto zu gehen. Mach die Haustür zu, du brauchst nicht abzuschließen, die Polizei wird sie doch nur eintreten müssen.«
»Okay.«
Der Regen prasselte auf mich herunter, als ich den Weg
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