Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
Vom Netzwerk:
nachzusehen, ob irgendetwas daran verdächtig aussah oder nicht stimmte. Aber da hatte ich Glück: Nicht weit von ihrem Haus entfernt gab es einen Parkplatz. Er war weit genug weg, dass der Mörder, sollte er mich beobachten, nicht wissen konnte, warum ich da war, aber so nah, dass ich schräg auf die Vorderseite des Gebäudes und die Tür schauen konnte. Ich hielt an. Im Zusammenhang all dessen, was passiert war, kam ich mir vor, als hätte ich das große Los gezogen.
    Ich saß benommen da, war aber entschlossen. Es würde nichts bringen, wenn ich zu schlafen versuchte, und sonst konnte ich nirgends hingehen. Ich würde also die Nacht über hier sitzen und, soweit möglich, sicherstellen, dass Sarah nichts passierte.
    Der Regen klang jetzt fast friedlich. Ich fing an, über das Geschehene nachzudenken, und versuchte das, was ich erfahren hatte, in ein größeres Bild einzupassen.
    Der Mörder hatte gelacht, als ich sagte, ich verstehe, aber es war offensichtlich, dass ich mich in großen Schwierigkeiten befand. Vielleicht würde es ihm am Ende doch nicht gelingen, mir auf diese Weise etwas anzuhängen, das auf lange Sicht einer genauen Untersuchung standhalten würde. Andererseits hatte ich vielleicht die Möglichkeit unterschätzt, eine überzeugende, komplette Illusion zu erzeugen. Eine Handvoll kleiner Einzelheiten. Nicht so schwer.
    Aber warum ausgerechnet ich?
    Du meinst vielleicht, du bist so verdammt schlau, aber das bist du nicht.
    Da täuschte er sich. Ich kam mir gar nicht schlau vor. Im Gegenteil, so wie ich da saß, kam ich mir vor wie der dümmste Mensch auf der Welt.
    Ich wusste, ich sollte zur Polizei gehen, mich stellen und alles zu erklären versuchen – und jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich Emmas ausgemergelten Körper vor mir. Ihr Gesicht schien zu fragen, warum ich sie vergessen hatte und wie ich es über mich bringen konnte, sie jetzt abermals zu verlassen.
    Aber die Erinnerung ließ mich auch an Tori denken. Wenn ich aufgab, würde irgendjemand sie genauso finden. Solange ich glaubte, dass sie noch lebte, musste ich weitermachen. Ich würde nie mehr in den Spiegel schauen können, wenn ich es nicht versuchte.
    So verbrachte ich die Nacht im Wagen zusammengekauert, und all diese Gedanken gingen mir immer und immer wieder durch den Kopf. Irgendwann hörte es auf zu regnen, außer dem Geräusch des Windes war alles still. Schließlich hörte ich Vögel und sah, dass der obere Rand der Sonne am Horizont erschienen war. Sie stieg langsam weiter hoch, und ein gelber und orangefarbener Wolkenschleier breitete sich aus und ließ die Überbleibsel des Unwetters vom Abend sehen: Wolkenfetzen wie Blutergüsse am Himmel.
    Kurz nach sieben ging in Sarahs Wohnung ein Licht an. Ich beobachtete weiter, und ein zweites erschien daneben.
    Es war ihr nichts passiert.
    Leicht zitternd ließ ich den Motor an und fuhr davon.
     
    Um halb neun saß ich in einem großen Café außerhalb der Stadt. Es war ein typisches billiges Schnellrestaurant, an jeder Oberfläche schienen Schmutz und Fett zu haften. Flaschen mit verkrusteten braunen Soßenresten und Ketchup standen auf den Resopaltischen. Kostproben von beidem klebten als hilfreiche Hinweise an den eingeschweißten Speisekarten.
    Das Café lag an der Straße, die am Haus meiner Eltern vorbeiführte, ein paar Meilen entfernt. Ich erinnerte mich daran von den Fahrten im Schulbus her, weil es immer so aussah, als sei es voller Lkw-Fahrer, und als Mutprobe wagten sich manchmal die couragiertesten Oberstufenschüler hinein. Damals war dem Lokal eine merkwürdige und fast exotische Gefährlichkeit eigen. Jetzt hatte ich das Café zum ersten Mal wirklich betreten, und es erwies sich als eine ganz normale Imbissstube. Zu dieser Tageszeit standen nur ein paar wettergegerbte Fahrer, die Auslieferungen machten, am anderen Ende des Tresens, lachten laut über ihre eigenen Witze und schäkerten gelegentlich mit der Bedienung. Von jenseits des Tresens hörte ich Speck brutzeln, Pfannen wurden ausgekratzt, und eine Kaffeemaschine klang, als wolle sie Schleim hochhusten.
    Beim Vorbeifahren hatte mein Körper mir den spontanen Entschluss eingegeben, hier anzuhalten und etwas zu essen. Erst als ich neben dem Briefkasten geparkt hatte, wurde mir klar, wie hungrig ich war.
    Ich trank langsam einen schwarzen Kaffee. Die Überreste meines Frühstücks standen neben den drei Handys – mein eigenes, das von Tori und dasjenige, das der Mörder mir überlassen hatte –

Weitere Kostenlose Bücher