Tote Wasser (German Edition)
Staatsanwältin suchte. Perez hegte den Verdacht, dass Reg Gilbert sowohl beim Flughafen als auch bei der Fährgesellschaft seine Spitzel hatte, und das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war ein gehässiger, mit Andeutungen gespickter Leitartikel in der
Shetland Times
.
Deshalb stand er abrupt auf, griff nach seinem Mantel und lief zur Tür. Erst als er schon halb den Korridor hinuntergerannt war, fiel ihm auf, dass sein Verhalten den Kollegen seltsam vorkommen musste. Er war ohne ein Wort aus dem Raum gestürmt. Aber jetzt war es zu spät, um noch einmal umzudrehen.
Auf dem Gehsteig vor dem Polizeirevier, unterwegs zu seinem Wagen, rannte er beinahe Peter Markham über den Haufen. Er war so in seine sorgenvollen Gedanken vertieft, dass er den Mann gar nicht gesehen hatte und fast über die Aktentasche zu dessen Füßen gestolpert wäre. Und im ersten Moment erkannte er Markham überhaupt nicht. Perez war daran gewöhnt, ihn im Ravenswick Hotel zu sehen, und hier, außerhalb seiner normalen Umgebung, wirkte der Mann schmaler, ein wenig schäbig und nervös. Älter geradezu. Wie ein aus der Zeit gefallener Handelsvertreter mit seinem Musterkoffer.
«Jimmy!» Markham schien wie erlöst, Perez zu sehen. «Ich wollte gerade aufs Revier gehen.»
«Ist Ihnen noch etwas eingefallen, was uns weiterhelfen könnte?» Perez fühlte sich unwohl, verwirrt, völlig durcheinander, wie er da in dem grauen Nebel stand, der sich eher nach November anfühlte als nach Frühling.
Markham hob den Aktenkoffer hoch. «Ich habe Ihnen Zeitungsausschnitte mitgebracht. Alle Artikel, die Jerry geschrieben hat, seit er nach London gezogen ist. Maria hat sie gesammelt. Ich weiß nicht, ob Sie die brauchen können …» Seine Stimme erstarb. «Ich dachte, vielleicht wissen Sie ja was Neues, falls Annabel und ihr Vater etwas Licht in die Ermittlungen gebracht haben. Als die beiden bei uns vorbeigeschaut haben, war das ja nur schwer zu beurteilen. Das war alles schrecklich unangenehm.» Der Mann schlug den Kragen seiner imprägnierten Jacke hoch. «Können wir nicht einen Kaffee zusammen trinken? Ich ertrage es nicht, jetzt schon zurück zu Maria zu fahren. Nicht wenn ich ihr nichts Neues sagen kann.»
Und Perez konnte ihn nicht einfach da stehenlassen. Er konnte die Verzweiflung des Mannes nachempfinden.
Sie setzten sich in das Café im ersten Stock des
Peerie Shop
. Unten waren zwei junge Frauen mit Kleinkindern in Kinderwagen. Alle anderen Kunden hielt das Wetter fern.
«Ich kann Ihnen leider nichts Neues sagen», fing Perez an. Er wollte sich auf den Weg nach Aith machen, und dass er jetzt aufgehalten wurde, machte ihn ganz verrückt. Seine erste Frau hatte es seine «emotionale Inkontinenz» genannt, hatte gemeint, er sei einfach unfähig, jemanden abzuweisen, der ihn um Hilfe bat. Er hatte geglaubt, robuster geworden zu sein, aber es gab Gewohnheiten, die man nur schwer wieder loswurde.
«Aber Sie werden ihn kriegen, Jimmy, oder? Sie werden den Kerl kriegen, der meinen Sohn umgebracht hat?»
«Ja», sagte Perez. «Wir werden ihn kriegen.» Er schwieg kurz, ehe er fortfuhr. «Haben Sie kürzlich eigentlich mal eine Postkarte bekommen? Mit der Reproduktion einer Zeichnung vorne drauf? Drei Geigenspieler.»
Peter Markham sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. «Nein. Barbara öffnet alle Post im Büro, aber wenn es was Privates ist, reicht sie es an uns weiter.»
«Auf der Karte stand vielleicht nichts geschrieben», sagte Perez. «Nur das Bild auf der Vorderseite und auf der Rückseite die Adresse. Könnten Sie das mal überprüfen, wenn Sie wieder zu Hause sind? Könnten Sie Barbara fragen, ob sie so eine Karte gesehen hat?»
Und damit zog Markham von dannen, froh, dass er etwas tun und das Gefühl haben konnte, sein Ausflug nach Lerwick sei nicht ganz umsonst gewesen. Perez verließ das Café mit der Aktentasche des Mannes. Er hatte versucht, Markham dazu zu bringen, die Zeitungsausschnitte auf dem Revier abzugeben, doch der hatte sich geweigert. «Nehmen Sie sie, Jimmy. Die Tasche brauche ich nicht. Und ich vertraue darauf, dass Sie guten Gebrauch von den Ausschnitten machen.»
Jetzt stieg Perez das schmale Sträßchen zu seinem Wagen hinauf. Es war steil, und er fühlte sich erschöpft und ausgelaugt. Ich weiß nicht, ob ich das hier wirklich durchstehe, dachte er. Als seine Depressionen am schlimmsten waren, war die Rede davon gewesen, er könnte aus gesundheitlichen Gründen in Frühpension gehen, doch er
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