Tote Wasser (German Edition)
nicht auf ihre Frage. «Warum hat Maria sich die Mühe gemacht und die Anzeige aus der
Shetland Times
ausgeschnitten? Warum war ihr das so wichtig?»
«Vielleicht war es ja gar nicht ihr wichtig», sagte Willow. «Vielleicht dachte sie bloß, es könnte Jerry interessieren, weil er ja mal mit Evie Watt zusammen war. Sie hat die Anzeige ausgeschnitten, weil sie nicht vergessen wollte, es ihm zu erzählen.»
Entgeistert blickte er hoch. «Aber natürlich! Natürlich, so muss es gewesen sein.» Er sprang auf. «Ich bin in Aith», sagte er, während er schon in seine Jacke schlüpfte und in den Taschen nach dem Autoschlüssel tastete.
«Wollen Sie dort auf die Staatsanwältin warten?»
«Nicht nur. Da gibt’s noch was, das ich überprüfen muss.»
Und ehe sie ihn fragen konnte, wovon er überhaupt sprach, war er schon aus dem Zimmer.
Kapitel 43
A ls er in Aith ankam, war es später Nachmittag, aber immer noch nass und grau, sodass man glaubte, es wäre schon viel später, beinahe Nacht. In den Häusern brannte Licht, und unterwegs hatte er Blicke auf heimelige Szenen erhascht: Kinder, die an Küchentischen saßen und Hausaufgaben machten, ein junger Mann, der sich das Abendessen zubereitete, eine ältere Frau, die strickte. Doch im Alten Schulhaus brannte noch immer kein Licht, und als er zum Jachthafen hinabfuhr, lag auch Rhona Laings Boot noch nicht an seinem Anlegeplatz.
Er war überrascht, als ihm bei dem schicken skandinavischen Haus oben am Hügel Andy Belshaw die Tür aufmachte, und fragte sich, wieso der Pressesprecher heute nicht wieder zur Arbeit gegangen war. Für seinen Feierabend war es noch zu früh. Doch die Antwort kam sogleich, als Belshaw den Mund aufmachte: Seine Stimme klang heiser und kratzig, und als er Perez mit einer Geste hereinbat, sagte er: «Bitte entschuldigen Sie. Halsentzündung. Muss ich mir bei meiner Tochter eingefangen haben. Willkommen auf der Quarantänestation.»
In der Küche war an einer durch den Raum gespannten Leine Wäsche zum Trocknen aufgehängt, und Jen Belshaw war gerade am Kochen, weshalb das Kondenswasser die Fensterscheiben hinablief und man nicht nach draußen sehen konnte. Perez roch gedünstete Zwiebeln und merkte plötzlich, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Aus einem entfernter gelegenen Zimmer drangen das Gepiepse eines Computerspiels und Stimmen herüber. In einer Ecke der Küche war ein handgestrickter Pullover auf einen Holzrahmen gespannt. Die Ärmel ausgebreitet, sah er aus wie ein Kind ohne Kopf.
«Inspector.» Jen wandte sich vom Herd ab. «Wie kann ich Ihnen diesmal helfen?» Sie war sehr höflich, aber er merkte genau, dass sie sich nicht gerade freute, ihn zu sehen.
«Es geht um John Henderson.» Perez setzte sich an den Tisch. «Es ist jetzt so weit, dass Sie mir die Wahrheit sagen müssen. Sie beide müssen mir die Wahrheit sagen.»
«Ich weiß nicht, wovon Sie da reden.» Jen legte in Streifen geschnittene Lammleber zu den Zwiebeln in die Pfanne. Sie hatte die Leberstreifen erst in Mehl gewendet, und ihre Finger waren voll Blut und Mehl. Rot und Weiß, und dort, wo beides sich mischte, entstand eine rosafarbene Paste. Jen wusch sich die Hände an der Spüle und schaltete die Temperatur am Herd herunter.
«Ach nein?» Perez wandte sich an ihren Mann. «Aber Sie wussten davon, oder? Sie waren Hendersons bester Freund.»
Belshaw warf einen Blick hinüber zu seiner Frau, doch die stand immer noch mit dem Rücken zu ihm.
«Rhona Laing wird vermisst», sagte Perez. «Sie ist entweder gestern Nacht oder heute Morgen verschwunden. Wissen Sie vielleicht etwas darüber? Warum sie Aith möglicherweise überstürzt verlassen haben könnte?»
«Nein!» Es klang wie ein schrilles Kieksen. Belshaws Gesicht glühte fiebrig rot, und Perez erkannte, dass der Mann wirklich zu krank war, um zur Arbeit zu gehen. Er beugte sich über den Tisch. «Ich versuche, einen weiteren Mord zu verhindern. Sie müssen mir alles sagen, was Sie wissen. Sie beide.»
«Sie können John keinen Vorwurf machen.» Die Frau löste sich vom Herd und trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. «Er liebte Agnes wirklich von ganzem Herzen, aber sie war doch so krank. Er wusste, dass sie sterben würde, und er konnte nichts tun, um es ihr leichter zu machen. Stellen Sie sich doch mal vor, was für eine Belastung das für ihn war.»
Einen Augenblick lang glaubte Perez, dass er sich doch getäuscht hatte und jetzt eine ganz andere Geschichte zu hören
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