Tote Wasser (German Edition)
überlegte kurz. «Nein», sagte er dann. «Das hätte ich gern geglaubt, aber in Wirklichkeit wusste ich genau, dass es nicht so war. Denn wenn John deswegen zu ihr gefahren wäre, hätte er mich nicht angelogen. Und er hätte direkt vor ihrem Haus geparkt.»
«Wann war das?», fragte Perez. «Wann ist das passiert?»
«Das ist Jahre her. Neil war noch ein Baby. Oder jedenfalls noch zu klein, um Fußball zu spielen. Und es ist fünf Jahre her, dass Agnes gestorben ist.»
Perez rechnete schnell im Kopf nach. Damals hatte Jerry Markham noch auf den Shetlands gewohnt, und Evie Watt war vielleicht schon Zimmermädchen im Ravenswick Hotel gewesen. Oder ging noch zur Schule. Er überlegte, inwieweit das alles in seine Theorie passte, als Jen Belshaw etwas sagte.
«Manchmal habe ich ihn gesehen», erzählte sie. «Es war Mittsommer, wissen Sie, die ganze Nacht hell, und unsere Jüngste hat noch nicht richtig durchgeschlafen. Deswegen musste ich immer nach oben ins vordere Schlafzimmer, um sie zu stillen. Und da sah ich dann John, wie er aus ihrem Haus schlüpfte und die Straße runter zu seinem Wagen lief. Er wollte schnell zurück zu Agnes, nehme ich an. Fühlte sich schuldig, weil er sie so lang allein gelassen hatte.» Sie blickte Perez geradeheraus ins Gesicht. «Wenn ich ihn gesehen habe, können auch andere ihn gesehen haben. Ich habe zwar nie Gerüchte gehört, aber die Leute wussten ja auch, dass wir mit den beiden befreundet waren.»
«Sie rudern doch mit der Staatsanwältin in einer Mannschaft», sagte Perez. «Ist ihr da nie etwas rausgerutscht?»
Zum ersten Mal an diesem Abend wirkte Jen erheitert, so, wie er sie kannte. «Rhona? Eine großartige Frau, wenn man jemanden zum Rudern braucht, aber ohne gerichtlichen Beschluss würde sie einem nicht einmal sagen, was sie zum Frühstück gegessen hat. Nein, ihr ist nichts rausgerutscht.»
Perez trat aus dem Haus und blieb einen Moment lang auf der breiten Veranda stehen, um aufs Meer hinunterzuschauen. Mittlerweile war es ganz dunkel geworden, und es war unmöglich, ein einzelnes Boot im Jachthafen zu erkennen. Er schaltete sein Handy wieder ein. Eine Reihe verpasster Anrufe von Willow Reeves und auf der Mailbox eine Nachricht von Sandy, der verzweifelt klang. «Bitte ruf mich an, Jimmy. Wir glauben, wir haben die Staatsanwältin gefunden.»
Kapitel 44
R honas Boot trug den Namen
Marie-Louise
. Auf Willow Reeves’ Anordnung hin hatte Sandy ein paar Freunde angerufen und gebeten, nach dem Boot Ausschau zu halten. «Es ist nicht dringend, aber wir brauchen eine Unterschrift von der Staatsanwältin und wissen nicht genau, wo sie gerade steckt», hatte er gesagt und darauf geachtet, dass er ganz leichthin klang. Das, glaubte er, hatte er von Jimmy Perez gelernt, die Fähigkeit, nicht zu schnell preiszugeben, worum es ging. Sie wollten schließlich nicht, dass die Gerüchteküche auf den Shetlands eine Mörderin aus Rhona Laing machte! Am Ende hatte Joe Sinclair die
Marie-Louise
am Pier von Hvidahus entdeckt.
Joe hatte auf dem Revier angerufen, und Sandy war ans Telefon gegangen. «Einer von den Jungs von Delta Marine wollte sich auf dem Gelände vom Wasserkraftprojekt mal umschauen, deswegen habe ich mich da mit ihm getroffen. Die
Marie-Louise
habe ich in Hvidahus noch nie gesehen, und Rhona ist nicht an Bord. Wahrscheinlich ist nichts dran, aber es ist schon irgendwie komisch, dass sie ihren Kahn da allein gelassen hat.» Sinclair berichtete, er habe versucht, die Staatsanwältin auf dem Handy zu erreichen, weil er dachte, es gebe vielleicht ein Problem mit dem Boot und sie brauche Hilfe, aber es sei niemand rangegangen. Und als es dann dunkel geworden sei, habe er angefangen, sich Sorgen zu machen und schließlich Sandy Wilson angerufen.
«In letzter Zeit sind so viele merkwürdige Dinge passiert», sagte er, «da dachte ich, Sie sollten das besser wissen.» Dann schwieg er kurz. «Die Flut heute Nacht wird ziemlich stark sein. Rhona weiß solche Sachen. Sie würde die
Marie-Louise
nie einfach so am Pier vertäut liegen lassen, wo sie leicht beschädigt werden könnte.»
Sandys erster Impuls war es, Jimmy Perez anzurufen, aber der ging nicht an sein Handy, und so erzählte er es stattdessen Willow Reeves. Er war nicht gut darin, eigenständig Entscheidungen zu treffen. Aber Willow spielte ihm den Ball wieder zurück. «Was meinen Sie, Sandy? Wollen Sie da mal rausfahren? Ich warte immer noch darauf, dass der Buchprüfer sich bei mir meldet, um mir zu
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