Tote Wasser (German Edition)
bekäme als die, die er sich im Stillen zusammengereimt hatte. Die Geschichte einer Beihilfe zum Selbstmord vielleicht, in der John Agnes einen selbstbestimmten Tod ermöglicht hatte. Aber Jen fuhr schon fort. «Sie können ihm nicht vorwerfen, dass er den Trost annahm, den er fand.»
«Er hatte eine Geliebte?» Perez sah sie beide an, um sich seine Annahme bestätigen zu lassen. «Während seine Frau noch lebte?» Er fragte sich, wie es wohl war, wenn die Frau, die man liebte, langsam dahinstarb und man dabei zuschauen musste. Es war schlimm genug gewesen, auf jenem Hügel auf Fair Isle Fran in den Armen zu halten, und das hatte nur wenige Minuten gedauert. Ein Messer, das zustach. Eine Klinge, die im Mondlicht aufblitzte. Dann war alles vorbei. Er glaubte nicht, dass er die Kraft besessen hätte, jahrelang zuzusehen, wie seine Liebste von Tag zu Tag schwächer wurde. Er nahm zwar an, dass er es grundsätzlich gekonnt hätte – die ganzen praktischen Dinge erledigen, die tägliche Routine durchstehen, Heiterkeit vortäuschen. Aber nicht ganz allein. Irgendwann hätte auch er eine Zuflucht gebraucht, einen Menschen, der warm und weich und sanft war. Einen Menschen, der ihn hin und wieder zum Lachen brachte.
«Wir wissen nicht, ob er wirklich eine Affäre hatte», sagte Belshaw. «Mit Sicherheit wussten wir es nie. Und das war auch nichts, wonach man jemanden wie John Henderson hätte fragen können. Er war doch so zurückhaltend.»
«Aber es gab Gerüchte?»
«Ach!», sagte Jen geringschätzig. «An einem Ort wie diesem gibt es doch immer Gerüchte. Die meisten haben nichts zu bedeuten.»
«Aber Sie haben es vermutet, nicht wahr? Oder haben Sie es zufällig herausgefunden?»
Die drei saßen schweigend am Tisch und blickten einander an. Da läutete Perez’ Handy. Er schaltete es aus, ohne aufs Display zu schauen. Wahrscheinlich war es Willow Reeves, mal wieder auf dem Kriegspfad, die wissen wollte, was er vorhatte und warum er das Revier verlassen hatte, ohne ihr zu sagen, wo er hinwollte, Willow, die eine Erklärung von ihm verlangte.
«Henderson ist tot!», sagte Perez. «Sie können ihm nicht mehr schaden.»
«Das würde seinen Ruf ruinieren!» Trotz seiner wunden Kehle schrie Belshaw ihn beinahe an. «Schlimm genug, dass seine Leiche in dieser albernen Verkleidung und mit der dämlichen Maske vor dem Gesicht am Straßenrand gelegen hat. Ich will nicht, dass die Leute in den Kneipen hocken und sich das Maul darüber zerreißen, was er getrieben hat, als seine Frau krank war. Das hätte ihn furchtbar getroffen.»
«Sie haben sich Sorgen um ihn gemacht», meinte Perez.
«Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass er fast wie ein Bruder für mich war.»
Das glaubte ich von Duncan Hunter auch, dachte Perez, und der hat mich im Stich gelassen.
«Du solltest es dem Inspector sagen.» Es klang, als wäre Jen zu einer plötzlichen Entscheidung gelangt. «Er wird es nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen, wenn er das verhindern kann.» Sie blickte Perez herausfordernd an. «Nicht wahr, Jimmy? Aber was hier passiert, ist einfach schrecklich. Zu wissen, dass da draußen ein Mörder frei herumläuft, dass man die Kinder nicht aus dem Haus lassen darf und immer einen Blick über die Schulter werfen muss, wenn man allein von der Arbeit nach Hause geht. Das ist auch eine Art Krebs.»
Wenn er gesund gewesen wäre, hätte Belshaw vielleicht noch weitergekämpft, doch er war geschwächt und hatte Fieber und gab sofort nach, sank in sich zusammen, sodass er kleiner wirkte. Er erzählte die Geschichte in einer merkwürdigen Mischung aus Bellen und Flüstern, und schon allein seine Stimme steigerte die Anspannung, die in der Küche herrschte, wie Fingernägel, die über eine Schultafel kratzen. Jen holte ihm ein Glas Wasser, bevor er begann.
«Ich weiß nicht, wann es angefangen hat», sagte er. «Ich weiß nicht, wie lang es dauerte. Ich glaube, es hörte bald nach Agnes’ Tod auf. Vielleicht fühlte John sich schuldig, oder vielleicht hat auch die Frau es beendet. Wenn sie nur auf ein bisschen Spaß aus gewesen war, könnte es sie verschreckt haben, dass er nun wieder allein dastand.» Er nippte an dem Wasser. «Freitagabends hatten wir immer Fußballtraining, so wie jetzt auch. Wir haben eine Stunde lang mit den Jungs trainiert und dann ein Bier zusammen getrunken, normalerweise im Mid-Brae Inn. Es ging gar nicht so sehr ums Bier als darum, sich nach der Arbeitswoche zu entspannen. Für mich war’s der Beginn vom
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