Totem des Boesen
niederkniete. Fröstelnd senkte er seinen Blick in die toten Augen des Vogels.
Dann hob er die Hand und legte einen Finger gegen das verkrustete Gefieder eines der Adler, dort wo die schrecklichste Wunde überhaupt klaffte. Die Verletzung, die tödlich gewesen war.
Einen Moment lang glaubte Wyando, einen stromführenden Draht zu berühren. Aus dem Kadaver schien etwas auf ihn überzuspringen. Etwas, das ihn .
... an seine unbegreifliche, noch frische Tat erinnerte.
An Tränen, zäh und schwer wie Teer.
Elektrisiert fuhr er zurück.
»Wer sollte so etwas tun ...?« Es war keine Frage, nur Ausdruck der schockierenden Erkenntnis, was letztlich zum Tod des Adlers geführt hatte. »Kein Blut am Boden ... Nirgends ... Wie ist das -?«
Makootemanes Stimme brachte ihn zum Schweigen. »Ich muß mit dir reden. Sofort.«
Wyando löste mühsam den Blick von den toten Tieren. Das Schicksal jedes anderen Stammesmitglieds hätte ihn in ähnlichen Aufruhr versetzt. Und die Gesichter der anderen verrieten, daß es in ihnen nicht anders aussah.
Während er aufstand, hörte er, wie Makootemane Anweisungen gab, um die Kadaver dem reinigenden Feuer zu übergeben.
»Zu reinigen? Wovon?« fragte Wyando später in Makootemanes Zelt. Die Antwort des Stammesführers übertraf Wyandos schlimmste Befürchtungen.
»Es ist offensichtlich«, sagte Makootemane. »Ich habe mich geirrt und damit schwere Schuld auf mich geladen!«
»Wovon redest du?«
Nur die weiße Glut einer Feuerstelle trennte Vater und Sohn, die auf bizarre Weise fast gleichaltrig waren. Wenig Tageslicht sickerte ins Innere des Zeltes. Aber Wyando sah die vergreisten Züge des Stammesoberhaupts klarer als zuvor, und er hatte das Gefühl, daß es Makootemane umgekehrt ebenso erging.
»Warum bist du nicht früher gekommen?« fragte Makootemane seufzend. »Vielleicht hätten wir es gemeinsam verhindern können. Vielleicht hättest du die Anzeichen eher bemerkt als ich. Ich bin nicht objektiv. Nach dem, was auf dem Berg geschah, kann ich das nicht sein . Aber ich hatte gehofft. Ich hatte so sehr gehofft, den Feind besiegt zu haben .«
Ein krächzender Laut unterbrach ihn.
Erst jetzt bemerkte Wyando das lebende Totem im Hintergrund des Zeltes. Es hockte nicht auf dem Holzpflock, sondern am Boden zwischen Lumpen. So still und regungslos, wie der uralte Adler sich verhalten hatte, war er Wyando zunächst nicht aufgefallen, aber nun überkam ihn das dringende Gefühl, von ihm belauert zu werden.
Außerdem war ihm nicht ganz klar, wie es der Adler geschafft hatte, ins Zelt zu gelangen, nachdem er ihn noch kurz zuvor hoch über den Bäumen hatte kreisen sehen .
Ohne den Blick von dem Totem zu lösen, sagte Wyando an Ma-kootemane gerichtet: »Den Vorwurf, der aus deinen Worten spricht, verstehe ich nicht. Ich war es, der bis zuletzt hier aushielt, als alle anderen schon fortgegangen waren - aus Furcht vor der Gefahr, die du uns geweissagt hattest. Bevor ich in die ferne Stadt ging, teilte ich dir mit, was mich dazu trieb, die Wolfsfrau zu begleiten. Sie behauptete, die Verursacherin der tödlichen Gefahr zu kennen, die uns Unsterblichen droht. Ich folgte ihr, weil ich hoffte, meinen Teil dazu beizutragen, die Gefahr zu bannen. Zu diesem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, daß mein Vater das Unheil selbst bannen würde .«
Makootemane sah mit gesenktem Haupt in die Reste des Feuers. »Ich fürchte, genau das ist der Irrtum, dem ich erlegen bin«, sagte er. »Und der meinen vermeintlichen Sieg nicht nur wertlos macht, sondern .«
»Sondern? Wovor hast du Angst? Und was hat dich auf diese Weise . zugerichtet? Was ist in der Höhle im Berg geschehen? - Und warum ist er ...«, Wyandos Geste galt dem Stammestotem, »... so verändert? Ich spüre seinen Segen nicht mehr. Das, was uns Halt gab in finsterer Zeit .«
»Worauf willst du hinaus?« Makootemane blickte auf. Er schien tatsächlich nichts von der Fremdheit spüren zu können, die verhinderte, daß Wyando den früher ganz selbstverständlichen Zugang zu ihrem Totem fand; zu der reinen Tierseele, die ihnen im Laufe so vieler Jahre die Abkehr von den Zwängen ermöglicht hatte, die einen Vampir tagein, tagaus beherrschten und über das Stillen seines Durstes hinaus wüten ließen .
. zumindest hatte er bis zu dem Vorfall im Motel geglaubt, die lange, dunkle, eisige Nacht ihrer Existenz überwunden zu haben und trotz der Kelchtaufe weiter in Einklang und Harmonie mit der Natur leben zu können .
Wyando hatte Margeaus
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