Toten-Welt (German Edition)
Das Bier war noch deutlicher zu riechen. Er war so hungrig und durstig. Alles tat ihm weh. Sein After brannte vom Sitzen im eigenen Kot. Seine Handgelenke waren derart geschwollen, dass sie die Holzfessel des Stocks gänzlich ausfüllten und ihn vor Schmerzen fast in den Wahnsinn trieben. Der ganze Körper juckte und brannte ihm und ließ ihn immer wieder sich unter Krämpfen aufbäumen.
Aber was die da vor seiner Tür trieben, war wichtig. Er zwang sich, genau hinzuschauen, und auf einmal begriff er. Der eine reihte Steine im Türstock, der andere verschmierte sie mit Mörtel.
Er wurde eingemauert! Und sie ließen ihn dabei im Stock stecken! Für immer!
„Nein, nein, nein, nein, nein“, murmelte er, als ihm das Entsetzliche so klar wurde, dass er sogar seine Schmerzen vergaß. „Bringt mich erst um, bitte.“
„Weißt du“, sagte der mit den Steinen, ohne ihn anzuschauen. Er legte bereits eine zweite Reihe über die erste, während der andere sie vermörtelte. „Ach, weißt du, jedem anderen hätten wir den Gefallen vielleicht getan. Wir könnten dich ja auch aus dem Stock lassen, damit du nicht gar so jämmerlich verrecken müsstest oder dir selbst an die Kehle könntest. Aber ich bin immer noch ein bisschen böse auf dich. Deshalb...“
Er unterbrach sich selbst, und da er nicht weiterredete, fragte von Neuminingen: „Wieso, was ist, was hab ich dir getan?“
„Du erinnerst dich nicht?“
Er stand auf, leuchtete sich mit einer Kerze ins Gesicht und zog sich mit der anderen Hand an seinem üppigen Krausbart.
„Du bist einer der Stadtwachleute. Na und?“
„Du hast mich ... weggestoßen!“
Das letzte Wort brüllte er fast heraus und unterstrich es mit einer Schlagbewegung mit dem freien Arm.
„Da warst du noch der große Burgvogt. Jetzt kann ich dich herumstoßen wie ich will.“
Seine Wut verlosch, er ging wieder auf die Knie und griff den nächsten Stein.
„Etwa neulich, als du den Fürstbischof aus der Kutsche zerren wolltest?“, fragt von Neuminingen fassungslos.
„Ganz recht, Herr, der du keiner mehr bist. So war es mir befohlen. Du hast mich blamiert und mir einen Rüffel eingebracht. Seitdem schiebe ich Dienst hier drin und sehe kaum noch das Tageslicht.“
„Und deswegen tust du mir das an?“
„Ich tu dir gar nichts an. Ich vollstrecke das Urteil des Richters.“
„Und du, der mit dem Mörtel? Was ist mit dir?“
Er gewann etwas von seiner früheren Überlegenheit zurück. Betteln hatte keinen Sinn. Entweder musste er eben unter Qualen verrecken – oder er handelte sich bessere Bedingungen aus. Das war immer sein Motto gewesen: heraushandeln, was geht.
„Ich bin schon immer hier drin. Und tut mir leid das mit dem Bier.“
Der Krausbart, der eben die vierte Reihe vollenden wollte, ließ den Stein sinken. Zur Hälfte war die Zelle vermauert.
„Was ist dir denn! Du entschuldigt dich bei dem?“
„Nur bei seiner Seele.“
So sehr er zuvor aufgetrumpft hatte, so kleinlaut klang er nun.
„Ich bin schon ziemlich lang hier unten, weißt du.“
„Na und?“
„Man sieht so einiges. Vor allem nachts.“
„Was denn? Etwa Geister?“
„Es hat seine Gründe, wenn der Nachrichter sich vor dem ersten Hieb entschuldigt. Wenn er das kann, kann ich es auch. Und jetzt mach weiter.“
„Ich entschuldige mich ganz bestimmt nicht.“
Es klang unsicher. Zögernd reihte er die nächste Lage Steine aufeinander und ließ den anderen mörteln. Franz von Neuminingen konnte schon nur noch ihre Köpfe sehen.
„Entschuldigen hilft auch nichts“, behauptete er drohend. „Wenn ihr nicht von meinem Rachegeist bis ans Lebensende verfolgt werden wollte, dann gewährt mir Gnade. Jetzt sofort!“
Die beiden sahen sich kurz an.
„Es würde ja keiner erfahren“, meinte der mit dem Mörtel.
„Ich hab noch nie jemand umgebracht“, lenkte der andere indirekt ein.
„Müssen wir auch nicht. Warte...“
„Was man so hört...“, sagte der Krausbart scheinbar zu sich selbst, während er auf seinen Kameraden wartete.
„Was?“
Von Neuminingen klang wieder schwächer, ängstlicher. Er hatte wohl soeben seinen raschen Tod herbeiverhandelt. Das war sein schmerzlichster Sieg, denn er wollte nicht sterben. Aber er wollte auch nicht in eisiger Finsternis gefesselt sein wer weiß wie lang, bis sein Körper endlich aufgab.
„Vielleicht seid Ihr gar nicht umzubringen.“
Von Neuminingen registrierte sehr wohl, dass er nicht mehr geduzt wurde.
„Was ist das für ein Unfug!“
„Tote
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