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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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sie die Bewacher auf das Ding im Tal aufmerksam werden. Bisher war sie selbst die Sensation gewesen, auf die alle gestarrt hatten. Nun versammelten sich die drei Süchtigen, die das Haupttor bewachten, am Eckturm der Kernburg, deuteten ins Tal und weckten mit ihrer aufgeregten Diskussion die Neugier der übrigen Bewacher, die über die Wehrmauer verteilt zu Amelie hoch gestarrt hatten und sich nun ebenfalls ablenken ließen.
    Sieben von ihnen waren es insgesamt. Sie trafen am kasernenseitigen Eckturm zusammen und bildeten nun ein Grüppchen, das immer hitziger diskutierte. Das Wort Armee wehte zu Amelie hoch. Das sich vorwärts wälzende Ding kam nahe der Alten Wüstung aus dem Wäldchen und war nun nahe genug, dass Amelie erkennen konnte, um was es sich handelte: einen Konvoi von Fahrzeugen, gefolgt von marschierenden Fußsoldaten.
    Eines der Militärfahrzeuge setzte sich von der Gruppe ab, gewann an Tempo und war rasch voraus und an der Kreuzung angelangt. Uniformierte sprangen heraus und vollführten hektisch irgendeine Aktion, die Amelie nicht so recht begriff.
    Plötzlich eine Art Blitz. Sie erschrak so sehr, dass sie beinahe den Halt verloren hätte. Das rasend helle Leuchten dauerte an. Amelie sah Flammen zucken, die sich aufteilten. Man schien riesige Fackeln zu entzünden, die in Bewegung gerieten und davonliefen.
    Erst als Amelie die Süchtigen auf den Wehrgängen das Wort „Flammenwerfer“ rufen hörte, verstand sie, was da vorging. Keiner von ihnen schaute mehr zu Amelie hoch. Sie diskutierten, gestikulierten – und als der Flammenwerfer verlosch, die lebenden Fackeln zusammenbrachen und die Soldaten in ihr Fahrzeug zurück kletterten, es in Bewegung setzten und den Weg zur Burg einschlugen, da rannten Wiccas Wächter wie aufgescheuchte Mäuse zum nächsten Abstieg, verließen hurtig die Wehrgänge, rannten über den Burghof und verschwanden im Palas.
    Amelie, plötzlich ganz allein, klammerte zitternd an der Leiter, sah nun auch den Rest des Konvois wie eine riesige Raupe heranrücken und hatte keine Ahnung, was sie machen sollte.
     
    Hubert Helfert ließ sich von der Rotte treiben, aber folgte zugleich auch der Stimme in seinem Kopf. Die Vorwärtsbewegung verlief nie in völliger Harmonie, da die Stimme mal lauter, mal leiser, mal despotischer, mal flehentlicher pochte, zuweilen von allen Seiten zu kommen schien und von jedem wohl unterschiedlich wahrgenommen wurde. Aber insgesamt fanden immer mehr Empfänger zusammen und steuerten ihre Gesamtbewegung als Schwarm immer fließender.
    Der Haupteingang des Rathauses war wie ein Flaschenhals. Helfert staunte, wie geordnet das Eindringen ablief. Kein Drängen und Rangeln, kein Kämpfen – als habe man sich stillschweigend auf das alte Reißverschlusssystem geeinigt und sei kollektiv zu dem Schluss gekommen, dass hier vor Ort an der Quelle, nur wenige Meter entfernt vom Sender, keine Eile mehr geboten sei. Er würde hier durch müssen, wenn man ihn erst hätte, also konnte man nichts verpassen. Und doch wollte jeder gern dabei sein, wenn er befreit wurde.
    Helfert und Mia Forster gehörten zu den letzten, die es noch schafften, die Kellertreppen hinab zu schlurfen ins historische Lochgefängnis der Stadt, und an den Kerkern vorbei die uralten, finsteren Gänge entlang bis ganz nach hinten vorzudringen. Was sich hier nun staute, hatte alle Stadien der Verwesung zu bieten und alle Formen und Tiefen allerschönst-scheußlichster Wunden und Verstümmelungen.
    Die Kerle, die sich an der Mauer zu schaffen machten, waren noch relativ intakt. Zwei von ihnen waren Süchtige, wie Helfert sabbernd vor Gier erkannte. Die hatten sich mit ihrem Vordringen in diese Falle ihr eigenes Todesurteil besiegelt. Hatten sie ihre Arbeit erst getan, würde die Meute sie zerfetzen.
    Im Moment aber war der Lockruf stärker. Es war ein Hilferuf, es war ein Klang der Schwäche und zugleich Stärke. Etwas unendlich Ausdauerndes und Beständiges harrte seit Jahrhunderten hier aus und wollte nun raus. Keine Sekunde wollte es länger warten, und jeder, der sich hier versammelte, wollte seinen Teil beitragen, die Zeit abzukürzen.
    So drängten immer mehr Halbtote, Ganztote und Teilgeköpfte mit Werkzeugen aller Art nach vorn, wurden vor gelassen und begannen, kaum an der Mauer angekommen, auf sie einzuschlagen mit Steinen, Äxten, Hämmern und Brecheisen.
    Der Schwarm verhielt sich auch hier unten perfekt, bot jedem, der mithalf, genau so viel Platz wie er brauchte, und füllte den

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