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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Richtung des Burgflügels, in dem Wicca ihre Praxis hatte. Amelie nickte.
    „Ja. Vor genau 500 Jahren wurde sie angeklagt, verurteilt und hingerichtet. Na ja, verbrannt und eingemauert. Schon komisch.“
    „Das ist bestimmt kein Zufall.“
    „Sondern?“
    „Weiß ich nicht, aber kein Zufall.“
    „Sie wissen doch irgendwas!“
    „Was wissen Sie denn? Mehr als ich bestimmt. Was zum Teufel soll ich hier?“
    „Hören Sie, Amelie!“
    Er packte sie bei den Ellenbogen ihrer verschränkten Arme. Sie ließ es zu und öffnete sich.
    „Ich bin nicht Ihr Feind, ganz bestimmt nicht. Wenn wir diesen Klangfärber finden, dann hört sie vielleicht auf mit ihrem... – na ja, mit dem, was sie ihr Schneeballsystem nennt. Bevor die halbe Welt vor die Hunde geht.“
    Amelie schüttelte den Kopf.
    „So mächtig ist sie auch wieder nicht.“
    „Wer ist Hermann Klangfärber?“
    „Kann ich Ihnen nicht sagen.“
    Er ließ sie los und schien zu resignieren.
    „Sie glauben nicht, dass sie so gefährlich ist?“, fragte er in einem Ton, der das Gegenteil voraussetzt. „Haben Sie heute schon mal Nachrichten geschaut? Zeitung? Internet?“
    „Nein. Wieso? Ist was passiert?“
    Es klang, als fürchte sie eine Neuigkeit, die sie persönlich betreffen könnte. Statt einer Antwort nahm er sie an der Hand, führte sie aus dem verbrannten Raum in das Büro, in dem sie seine belanglosen Memoiren eingetippt hatte. Das war erst ein paar Tage her – und schien ihr wie eine andere Welt. Sie hatte das Gefühl, nie wieder einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können. Sie wusste nicht, ob sie es vermissen würde. Arbeiten war nie ihre Leidenschaft gewesen. Andererseits, wenn etwas nie mehr ging, konnte es plötzlich interessant erscheinen...
    „Bitte sehr.“
    Er klappte seinen Laptop auf. Das Gerät war online. Die ersten drei Schlagzeilen der Google News Seite waren alle um das Schlagwort „Blut“ herumgestrickt:
    „Vom Opfer blieb nur die Blutspur“
    „Blutiges Gemetzel in friedlicher Kleinstadt“
    „Der Tatort war das reinste Blutbad“
    Amelie scrollte weiter nach unten.
    „Da ist was. Das Video da.“
    „Das ist n-tv.“
    Bergenstroh griff zur Fernbedienung, schaltete den etwas altmodischen, auf Flachbild getrimmten Röhrenfernseher ein und blieb beim Zappen auf N24 hängen. Das Laufband verkündete in Großbuchstaben:
    „Kleinstadt-Mordserie breitet sich in andere Landesteile aus // Killer hinterlassen keine Leichen // Bisher 187 bekannte Tatorte, aber wo sind die Opfer?“
    Am oberen Bildschirmrand erschien der Schriftzug „Breaking News“. Mitten aus einer Dokumentation über die afrikanische Tierwelt heraus wurde auf einen ernst und tief betroffen blickenden Nachrichtensprecher geschnitten.
    „Wir unterbrechen unser Programm für eine wichtige Meldung der Polizei: An einem der inzwischen 193 über das gesamte Bundesgebiet verstreuten Tatorte ist eine Digitalkamera-Aufzeichnung gefunden worden, die einen brutalen Mord zeigt. Die Polizei hält das Video für echt und befürwortet trotz der ungeheuren Härte die Ausstrahlung. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren und Personen mit schwachen Nerven sollten jetzt den Blick abwenden.“
    Das Video zeigte in Großaufnahme das Gesicht eines Mannes, der scheinbar im Sitzen schlief, aber eine hässliche Platzwunde auf der Stirn ließ diese Annahme in Zweifel ziehen.
    Der Mann begann sich zu regen. Seine Augen flatterten. Hinter ihm erschien ein Schatten im Bild. Aus dem Schatten wurde das Gesicht eines Mannes, der den Mund aufriss und sich über die rechte Schulter des Erwachenden beugte. Innerhalb einer Sekunde passierte etwas, das Amelie zwar erwartete, das sie aber auch beim zweiten Sehen schockte – und das Bergenstroh vor Schreck stöhnen ließ. Der Gebissene schrie auf, zuckte, warf sich herum und verschwand aus dem Bild, während der Angreifer sein Gesicht bildfüllend der Kamera präsentierte und dabei ein ebenso zufriedenes wie hämisches Lächeln zustande brachte. Amelie wusste natürlich, wer das war.
     
    Hubert Helfert begriff erst nicht, was er da sah. Überhaupt begriff er immer weniger von dem, was in der Welt außerhalb seiner körperlichen Qualen und seiner Gier nach Fleisch vor sich ging. Den Rauswurf Wiccas hatte er bereits vergessen – zurückgeblieben war nur der giftige Geschmack im Mund, von dem er schon nicht mehr wusste, woher er stammte, und das ständige Reißen und Stechen in seinem Körper, das er zwar als Schmerzen erkannte und wahrnahm, aber nicht

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