Toten-Welt (German Edition)
geklungen. Zu sehen war nichts.
Bernkaller war so auf das Haus der Berkel fixiert, dass ihm alles andere ringsum entging.
Wieder ein Geräusch, eine Art Schlurfen, diesmal aus der verfallenen Bretterbude neben dem missglückten Fachwerkhaus.
„Herr?“
Bernkaller winkte ab.
„Wie kommt Ihr darauf, sie in diesem Haus zu vermuten und nicht in denen daneben?“
„Siehst du nicht den Hexengarten? Außerdem hat mir der Burgvogt dieses Haus beschrieben.“
„Sie mag ausgeflogen sein. Aber in den anderen Häusern ist was.“
„Katzen und Fledermäuse.“
„Hört selbst!“
Ein langgezogenes, eindeutig menschliches Stöhnen drang aus dem Haus, begleitet von schweren Schritten.
„Seht!“
Im Türstock erschien eine Gestalt. Da die Hausseite im Schatten lag und die windschiefe Holztür halb geschlossen war, konnte man nur die Umrisse erkennen, aber wie es aussah, tarnte der unheimliche Beobachter sich mit einer dunklen Kapuze.
„Zeigt Euch!“, brüllte Bernkaller, plötzlich erschrocken, und in seiner Stimme klang Angst mit, was ihm vor seinem Untergebenen sofort peinlich war. Deshalb brüllte er um so lauter: „Wir verstehen hier keine Scherze!“
Der andere Wachmann kam um Marias Haus zurück.
„Du bleibst auf deinem Posten!“
Bernkallers Organ klang nun kreischig und überschlug sich fast.
„Hinter Euch!“, riefen seine beiden Männer fast mit einer Stimme. Bernkaller drehte sich um und sah sich einer unheimlichen alten Frau im Nachthemd gegenüber. Sie war barfuß, ihr Gesicht schimmerte bläulich. Hinter ihr aber näherte sich die wahre Horrorgestalt: Ein riesenhafter blutverschmierter Unmensch, der seinem grünen Filz nach wohl ein Waldarbeiter sein mochte.
Ja war denn dieses Dorf nun ausgestorben oder nicht? Und diente es Maria Berkel gar nicht mehr als Hexenunterschlupf?
„Keinen Schritt weiter!“
Bernkaller wich zurück und fummelte nach seinem Schwert. Aus den Augenwinkeln sah er, dass nun auch die Kapuzen-Gestalt die Hütte verlassen hatte und ihn von der anderen Seite her in die Zange nahm. Zwar schlossen seine Männer auf, zwar waren alle drei bewaffnet, die anderen drei nicht, aber die Gesichter der Angreifer wirkten nicht so als schere sie das auch nur im Mindesten.
„Seid ihr ein Mönch aus dem Kloster?“
Einer der Wachen hatte die Frage gestellt, ohne dass ihm das Reden erlaubt gewesen wäre. Aber Bernkaller war froh über diese Initiative, auch wenn die Frage dumm gewesen war. Natürlich war das ein Mönch.
Oder jemand, der einen Mönch überfallen und dessen Kutte übergestreift hatte. Unter der Kapuze sah man vom Gesicht nur die Nase, die witternd vorgestreckt war wie bei einem Tiere. Auch die alte Frau und der Riese schienen nach ihnen zu schnüffeln.
„Was ficht Euch an! Gebt uns Maria Berkel heraus!“
Bernkaller hatte seine Überlegenheit zurückgewonnen, wie er meinte. Aber seine Stimme klang nach einem Häufchen Elend.
„Wir erwarten Eure Befehle“, forderte einer seiner Männer, er konnte nicht sagen, welcher. Denn der Riese stöhnte so laut auf, dass es einem unterdrückten Schrei gleich kam, stieß die alte Frau zur Seite und bewegte sich kantig, unbeholfen, aber unerwartet rasch auf Bernkaller zu. Eine seiner fleischigen Pranken hielt er vorgestreckt. Die Hand sah aus wie unter einen Wagen geraten, aber das Blut konnte auch von einer der anderen Wunden stammen, von denen er offenbar reichlich vorzuweisen hatte. Die bräunlichen Flecken waren verkrustet. Der Teil der Brust, der unter dem Wams hervorsah, wirkte vernarbt und verbeult.
Der Riese riss den Mund auf und fiel mit einem weiteren Schrei über Bernkaller her. Es ging schnell, brachial und zähnefletschend vor sich wie beim Angriff eines Bären.
Maria war unterwegs in die Stadt, aber nicht direkt über die Felder, sondern auf dem Umweg am Dorf vorbei durch die Wälder. Auf freiem Feld hatte sie sich nie wohl gefühlt, aber gerade an diesem Tag brauchte sie die Verschwiegenheit ihrer vertrauten Pfade.
Ihre ersparten Gulden hatte sie immer bei sich, eingenäht zu zwei Dritteln in die Doppelpolster der Taschen ihres Obergewandes, zu einem Drittel offen in einem Lederbeutel, um Räuber zufrieden zu stellen. Es gab sonst nichts, was sie aus ihrem Haus benötigt hätte. Zu finden waren dort nur ein Tisch, ein Stuhl, ihr Strohlager und ein paar Vorräte. Und doch hatte sie sich für den Pfad entschieden, der näher am Dorf vorbeiführte und weiter zur Stadt war.
Sie hatte nicht vorgehabt, sich
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