Toten-Welt (German Edition)
zu zeigen. Aus einem Versteck heraus hatte sie beobachten wollen, was die alte Frau und der Mönch in ihrer Abwesenheit taten und ob sie überhaupt geblieben waren. Nun hörte sie von weitem, noch bevor sie sich überhaupt hatte anschleichen können, die Schreie von Kampf, Abwehr und Todespanik.
Sich versteckt zu nähern, schien ihr nun nicht mehr geboten. Als könne ihr selbst auch im wildesten Getümmel keine Gefahr drohen, rannte sie mit gerafften Röcken in das Dorf hinein und geradewegs auf den Lärm zu, der zu hören und nun auch zu sehen war genau dort, wo sie all die Jahre friedlich und unbehelligt gelebt hatte. Sie wusste, nun war es damit vorbei. Denn diejenigen, die hier untergingen und am Boden verbluteten, waren Leute von der Burg.
Maria sah einen Wachmann, den sie vom Sehen kannte, mit letzter Kraft einen Schwertstich austeilen, bevor ihm der Köhler mit dem Knie die Kehle zerquetschte und ihn zugleich in den Arm biss. Mit Urgewalt hatte er das lederne Wams zerrissen, um an eine freie Stelle Haut heranzukommen. Das Schwert steckte ihm tief im Bauch, was ihn nicht schmerzte und nicht mal kümmerte. Zufrieden schmatzte er sein rohes Fleisch, angestarrt von den brechenden Augen seines Opfers.
Gleich daneben stritten sich die alte Frau und der Mönch um die Leiche eines anderen Burgmannen, den Maria nicht am Gesicht erkannte, aber an seinen Farben. Zwei zusammengebundene Pferde scheuten, bäumten sich auf, zerrten aneinander und blieben doch am Fleck. Hufgetrappel war aber zu hören gewesen, bevor Maria den Kampfschauplatz erreicht hatte. Und sie wusste aus Erfahrung, dass diese Kerle nie nur zu zweit auftauchten und nie ohne Anführer. Mindestens einer musste sich gerettet haben.
All das ging ihr durch den Kopf, als sie das Blutbad erreichte. Sie fragte sich nicht, ob es klug war, die Toten in ihrem Fressrausch zu stören. Sie fragte sich nicht, ob ihre Opfer zu retten waren, denn das waren sie nicht. Was sie fühlte, war bei allem Schrecken eine tiefe Trauer, dass ihr Leben hier an diesem Ort nun zu Ende war. Wohin sollte sie gehen, wo sich verstecken? Wie sollte das enden?
Da es nichts zu tun gab, es keinen Anlass gab, sich davonzumachen, und zudem eine Neugier in ihr aufkam, die ihr nicht gefiel, aber die auch nicht zu leugnen war, verharrte sie am Ort mit zwei Schrittlängen Abstand zu dem schaurigen Gelage, registrierte, dass sie von den Toten wahrgenommen aber als Beobachterin akzeptiert wurde und wartete einfach nur, bis das Mahl abgefeiert war.
Im Weglaufen war er immer gut gewesen. Überhaupt hatte es Lorenz Bernkaller vom Bauernjungen zum Burgwachmann und Stellvertreter des Burgbesatzungs-Kommandanten nur gebracht, weil er stets gewusst hatte, wann es geboten war, sich zu verdrücken.
Nun ritt er wie von allen Teufeln der Hölle gejagt durch den Wald auf die Burg zu und fragte sich, wie er seine Flucht erklären und, noch viel mehr, wie er überhaupt je erklären sollte, was ihm widerfahren war. Eine alte Frau im Leichenhemd, ein Mönch und ein vernarbter Riese hatten Schwertstichen getrotzt, hatten alle Hiebe ohne erkennbare Schäden und ohne nur das leiseste Schmerzquieken ertragen, hatten seine Männer überwältigt und zusammengebissen, während er aufs Pferd gesprungen war ohne einzugreifen. Diese Geschichte konnte er nicht erzählen, niemandem, niemals. Aber was dann?
Er gebot dem jagenden Pferde Einhalt. Es war überhaupt nicht seines. Es war das Erstbeste, das er erwischt hatte.
Erst jetzt, da er absprang, auf die Knie fiel und sich auskotzte, bemerkte er, dass der Kampf auch für ihn nicht ohne Schäden abgegangen war. Die blau verfärbte Frau hatte er von seinem Schwertarm abschütteln können, aber erst, nachdem sie ihn wie ein tollwütiges Tier in die Hand gebissen hatte. Die Wunde schmerzte, jetzt da er sie sah, urplötzlich wie nichts zuvor, das er je in seinem Leben erlitten hatte.
Aber er lebte!
Er würde den Teufel tun und sein gerettetes Leben irgendwie gefährden. Zurück kam nicht in Frage. Aber auf die Burg?
Dort war man der Hexe gewogen. Man würde die Schuld bei ihm suchen.
In der Stadt dagegen...
Bernkaller wusste, dass er dort nicht allein war mit seiner Ansicht, dass jegliche Brut des Teufels rigoros auszumerzen sei. Der Stadtpfarrer stritt seit Jahren für eine härtere Verfolgung, und nicht nur einmal war der Name Maria Berkel gefallen. Niemandem entging, dass sie dem Fürstbischof näher stand als es in seinem Amt schicklich gewesen wäre. Bisher
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