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Totenacker

Totenacker

Titel: Totenacker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Pulver, hochtoxisch, nur etwa zwei bis vier Gramm sind als Einzeldosis für den menschlichen Organismus tödlich. Die Symptome nach der Einnahme sind Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Anders als bei einer Arsenikvergiftung kommt es nicht zum Kollaps, weil der Blutdruck nicht absinkt. Der Tod tritt bei vollem Bewusstsein nach wenigen Stunden ein.»
    Er hielt einen Moment inne.
    «Bariumcarbonat wird oral verabreicht. Die Kriminalgeschichte berichtet von Fällen, in denen das Pulver mit Mehl vermischt in ein Brot gebacken dem Opfer verabreicht wurde. Und da habe ich jetzt ein Problem. Im Euthanasie-Programm hat man neben dem Gas mit allem Möglichen experimentiert: Injektionen mit einem Scopolamin-Morphium-Gemisch, auch mit Veronal in hohen Dosen oder mit einer Überdosis Luminal, die zu einer tödlichen Lungenentzündung führte. Aber ich habe bisher noch nie von einem oral verabreichten Gift gehört.»
    «Du gehst aber davon aus, dass bei allen acht Menschen eine Bariumvergiftung die Todesursache war?», fragte Schnittges.
    «Bei der Konzentration mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, ja.»
    «Du hast mir doch erzählt, dass man Barium als Kontrastmittel beim Röntgen benutzt», hakte Cox nach. «Auch damals schon?»
    Bonhoeffer nickte. «Auch damals schon.»
    «Dann gab es Barium in jedem Krankenhaus.»
    «In jedem, das eine Röntgenabteilung hatte», bestätigte Bonhoeffer. «Allerdings nur in Form von Bariumsulfat, das vom Körper nicht resorbiert wird», wandte er ein. «Das wurde in den Jahren auch als Pflanzenschutzmittel eingesetzt.»

    Bernie hatte sich Notizen gemacht, die er jetzt vor sich ausbreitete. «Ich muss ein bisschen ausholen, wenn man nachvollziehen will, was damals abgelaufen ist.»
    Van Appeldorn verteilte Kaffee. «Nimm dir Zeit», sagte er und setzte sich.
    «Die meisten Heil- und Pflegeanstalten wurden im 19. Jahrhundert eingerichtet – Bedburg erst 1911 –, um Menschen, die geistig zurückgeblieben oder behindert waren, einen sicheren Ort und gute Pflege zu bieten. Dieser Gedanke kippte im Dritten Reich ins Gegenteil um. Wie wir alle wissen, wurden psychisch kranke Menschen als Bedrohung für die Volksgesundheit betrachtet, das war auch fest im Denken der meisten Ärzte verankert. Im Februar 1936 ordnete der Reichsinnenminister die ‹Erbbiologische Bestandsaufnahme in den Heil- und Pflegeanstalten› an. In Bedburg hatte man jedoch schon 1932 damit begonnen, Krankenblätter mit Angaben zur möglichen Erblichkeit von psychischen Erkrankungen zu erstellen, also vier Jahre vor der Anordnung. Das lässt einen doch nachdenklich werden. Erfasst wurden in diesen Karteien neben psychisch Kranken auch ‹sozial Untüchtige›, ‹Arbeitsscheue› und ‹Hilfsschüler›.
    Hitlers ‹Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses› führte dazu, dass die Menschen, die in der Kartei standen – das waren 1938 mehr als 750000 Personen –, sterilisiert wurden. Anfangs mussten die Patienten oder deren Vormund noch ihre Zustimmung geben, bald jedoch genügte die Anordnung des behandelnden Psychiaters.
    Ich habe eine Liste gefunden, die die Klinik Bedburg-Hau als eine der Anstalten ausweist, die den Eingriff vornehmen durften. Die Zwangssterilisationen in Bedburg wurden durchgeführt von Dr. Zirkel, dem Chefarzt des katholischen St.-Antonius-Hospitals in Kleve.»
    Penny schnappte hörbar nach Luft. «Der Dr. Zirkel, der nach dem Bombenangriff so unermüdlich operiert und selbstlos Menschenleben rettet, wie die Nonne schreibt?»
    «Genau der. Katholische Krankenhäuser durften sich auf Anweisung der Kirche nicht an den Sterilisierungen beteiligen, also hat Dr. Zirkel in Bedburg operiert und in den ersten drei Jahren dort 838 Menschen zwangssterilisiert. Das macht über den Daumen gepeilt ein bis zwei pro Arbeitstag.
    Mit Kriegsbeginn nahm die Zahl der Sterilisationen ab, weil die Ärzte zur Wehrmacht kamen. Sterilisiert wurde nur noch vereinzelt von Amtsärzten, wenn eine ‹besonders große Fortpflanzungsfähigkeit bestand›. Was auch immer das heißen mag.»
    «Das fragt man sich tatsächlich.» Cox ballte die Hände. «Heute bleibt einem die Luft weg, wenn man liest, wie deutlich sie ihre Menschenverachtung sprachlich formuliert haben. Aber sie kam ja von Leuten, die im Volk geachtet wurden, denen man begierig zuhörte, weil man glaubte, die könnten einen aus dem eigenen Elend erlösen. Es wurde normal, von ‹dem Juden›, von der ‹Durchseuchung der Volksgesundheit›, von

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