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Totenacker

Totenacker

Titel: Totenacker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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«Das ist immer noch mein Haus! Und solange ich hier das Sagen habe …»
    Aber an den Wochenenden kam Onkel Fricka und brachte schöne Frauen mit, die Petticoats trugen und Söckchen in flachen Schuhen, getupfte Halstücher und Sonnenbrillen mit weißem Plastikgestell. Und sie rochen nach Parfüm.
    Und immer war Sommer gewesen, und Opa hatte ein Kaninchen geschlachtet, weil Fricka kam und «der Junge doch was auf die Rippen braucht, wo er doch so viel studiert. Aus dem wird nochmal wer ganz Großes.»
    Und Norbert hatte vorn auf dem Tank sitzen dürfen, wenn Fricka auf dem Motorrad mit ihm eine Runde gedreht hatte – Mittelweg, Scholtenstraße, Ackerstraße, Beethovenstraße, Mittelweg.
    Und abends, samstags nach dem Baden, hatte er ihm Geschichten erzählt, spannende, gruselige Geschichten, die er wirklich erlebt hatte, damals im Krieg. «Jetzt mach mir den Jungen nicht verrückt, er soll doch schlafen.»
    Und dann war sein Vater gegangen, und sie waren aus Opas Haus weggezogen in die kleine Wohnung in der Unterstadt, Meilen entfernt, Mutter, Marlies und er.
    «Die ist für mich gestorben, die ganze Mischpoke!» Trotzdem hatte seine Mutter immer ganz genau gewusst, was mit Onkel Fricka war.
    «Er musste heiraten, das wundert mich nicht.»
    1972 musste das gewesen sein – da war Fricka schon über vierzig –, als er Henriette Glogau zur Frau genommen hatte, eine Musiklehrerin vom Lyzeum, nicht viel jünger als er. Im selben Jahr hatten sie eine Tochter bekommen, Merle.
    «Das ist doch kein Name für ein Kind, Norbert!» Mit gerade einmal siebzehn hatte er das damals genauso gesehen. Wie er so vieles von seiner Mutter übernommen hatte, ihr Schweigen, ihre Unerbittlichkeit.
    Onkel Fricka hatte im Haus Riswick gearbeitet, der landwirtschaftlichen Versuchsanstalt, die es heute noch gab, war später dort der Chef gewesen. Den Bericht über seine feierliche Verabschiedung irgendwann in den Neunzigern hatte van Appeldorn in der Zeitung entdeckt, auch vor drei Jahren die Todesanzeige: Henriette van Appeldorn, geb. Glogau, als Traueranschrift eine Adresse in Bedburg-Hau.
    Er hatte mit dem Gedanken gespielt, zur Beerdigung zu gehen oder wenigstens anzurufen und sein Beileid auszudrücken. Aber alles war zu lange her gewesen, und er hatte selbst so viele Probleme gehabt, die niemanden etwas angingen.
    «Komm nach der Tagesschau, Junge», hatte Onkel Fricka gesagt. «Die gucke ich jeden Tag, in meinem Alter ist ein geregelter Ablauf ganz wichtig.»
    Einundachtzig musste er jetzt sein oder vielleicht schon zweiundachtzig.
    Van Appeldorn bog in den Weg ein, der am äußersten Rand von Bedburg-Hau ins Nichts zu führen schien, rechts dunkler Tannenwald, links Felder bis zum Horizont. Es gab keine Straßenlaternen, der Weg war asphaltiert, aber so schmal, dass er hoffte, es würde ihm niemand entgegenkommen.
    Ein paar hundert Meter weiter vorn links gab es ein paar Lichtflecke in der Finsternis. Rechts tauchte unvermittelt ein Gehöft auf. Er bremste und erhaschte einen Blick auf abblätternden Putz hinter einem rostigen Gatter und einer wirren Dornenhecke. Schweinegestank drang ihm in die Nase, obwohl die Autofenster geschlossen waren.
    Er ließ den Wagen langsam weiter auf die Lichter zurollen.
    Ein weißer Flachdachbungalow, Alufenster, eine Haustür aus dunklem Holz: Bauhaus in Bedburg.
    Die Außenbeleuchtung sprang an, als er den Wagen an den Wegrand lenkte, und ließ die Hausnummer aus kühlem Stahl erkennen: «3».
    Es war das richtige Haus.
    Die Tür wurde geöffnet, bevor er klingeln konnte.
    «Ich habe die Autoscheinwerfer gesehen.»
    Ein großer, schlanker Mann mit immer noch fast schwarzem, ziemlich langem Haar, hohen Wangenknochen und fein gezeichneten Brauen, Onkel Frickas Augen und demselben Lächeln noch, ein Mann, dem man ansah, dass er den größten Teil seines Lebens im Freien verbracht hatte.
    «Ich freue mich so, Norbert, komm rein.»
    Er ging voraus in einen gemütlich beleuchteten Raum mit schlichten Sitzmöbeln aus Teakholz und grauem Leinen, deckenhohen Bücherregalen, einem Stutzflügel und farbenfrohen abstrakten Drucken an den Wänden.
    Ein wenig steif setzte er sich in einen Sessel, der so aussah, als wäre er für ihn angefertigt worden, und zeigte auf den Tisch, auf dem zwei Bierflaschen standen.
    «Setz dich, bitte, und bediene dich. Ich habe sie gerade eben aus dem Kühlschrank geholt. Du trinkst doch Bier?»
    «Sehr gern sogar.» Van Appeldorn öffnete beide Flaschen und zögerte.
    «Ach,

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