Totenacker
Gemmern», sagte er, als er zurückkam. «Er hat drei Kinderskelette ausgegraben, fast unversehrt. Sie lagen wohl so tief, dass der Bagger sie nicht durcheinandergeschoben hat. Auch der Bereich daneben scheint unberührt zu sein, sodass wir es vielleicht jetzt ein bisschen leichter haben.»
Marie schüttelte den Kopf. «Klaus ist jetzt schon wieder vor Ort?»
«Ich würde tippen, noch immer.» Bonhoeffer grinste. «Ich sagte doch: monoman.»
Auch Norbert van Appeldorn stand früh auf an diesem Sonntagmorgen.
Irgendwann in der Nacht war Paul zu ihnen ins Bett gekrochen, quengelnd und fiebrig, und es hatte lange gedauert, bis Ulli ihn beruhigt hatte.
Der Kleine ging seit ein paar Wochen in den Kindergarten und brachte seitdem einen Infekt nach dem anderen nach Hause.
Gegen sechs wachte van Appeldorn auf, weil er pinkeln musste, und als er ins Schlafzimmer zurückkam, hatten seine beiden sich im Bett so breit gemacht, dass er sie aufwecken würde, wenn er wieder unter die Decke schlüpfte.
Eigentlich war er sowieso hellwach.
Er gönnte sich nur eine Katzenwäsche, stellte die Kaffeemaschine an und ging in den Keller hinunter, wo die Kartons standen, die er aus seinem früheren Leben mitgebracht hatte. Sie waren immer noch zugeklebt und unbeschriftet, deshalb dauerte es eine Weile, bis er den richtigen fand – den mit seinen alten Büchern.
Er schleppte die ganze Kiste ins Arbeitszimmer und suchte diejenigen zusammen, die er brauchte. Dann holte er sich einen Becher Kaffee aus der Küche und setzte sich an den Schreibtisch.
Er nahm sich die Bildbände vor: Kleve vor dem Zweiten Weltkrieg – hatten damals am rechten Spoyufer Häuser gestanden?
Er fand eine Menge Aufnahmen von der Unterstadt, aber keine einzige, die genau diesen Kanalabschnitt zeigte.
Das dicke Buch über den Krieg am Niederrhein, das er damals in einem Antiquariat gefunden hatte: viele Fotos, eindringliche Bilder von Zerstörung und menschlichem Elend, aber kein einziges, das seine Frage beantwortete.
Er hatte das Buch mehr als einmal gelesen, das wusste er noch, aber das meiste war ihm längst wieder entfallen.
Wo hatten sich die Menschen, die in der Stadt geblieben waren, während der Bombenangriffe aufgehalten? In ihren Kellern? In öffentlichen Luftschutzbunkern? Er glaubte sich zu erinnern, dass man in aller Eile noch Bunker gebaut hatte. Aber wo in der Stadt waren die gewesen? Hatte es am Opschlag einen gegeben?
Er machte einen Satz, als Ulli ihn von hinten umschlang.
«Morgen, ich wollte dich nicht erschrecken, sorry.»
«Ist schon gut.» Er zog sie auf seinen Schoß und küsste sie. «Schläft Paul noch?»
«Ja, Gott sei Dank. Er hat wohl auch kein Fieber mehr. Weiß der Himmel, was das wieder war.»
Sie rieb ihre Nase an seiner, stand dann auf und schaute sich die Bücher an. «Ich habe gar nicht gewusst, dass du dich für die Stadtgeschichte interessierst», sagte sie und klang ein klein wenig verunsichert.
«Na ja, das ist auch schon lange her», sagte er leichthin.
Dass er endlich eine seiner Pandorakisten geöffnet hatte, war ein kleines Wunder.
«Geht es um die Skelette, die ihr gestern gefunden habt?»
Er nickte nur, klappte die Bücher zu und stapelte sie auf.
Er wusste sehr gut, wen er fragen konnte, kannte jemanden, der während des Krieges in der Stadt gewesen war, aber er würde sich hüten, ihn aufzusuchen. Besser, er erkundigte sich im Stadtarchiv.
Ulli runzelte die Stirn. Norbert hatte den einsamen Entschluss gefasst, seinen Beruf strikt von seinem Familienleben zu trennen, was natürlich absurd war.
«Glaubst du, die Leute sind während des Krieges umgekommen?»
«Vielleicht, aber wir werden es erst sicher wissen, wenn Arend mit seinen Analysen fertig ist, und das kann dauern.»
Er ging zur Terrassentür und schaute hinaus. «Es scheint wieder ein herrlicher Tag zu werden. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir schon einmal so einen warmen Herbst hatten. Was wollen wir unternehmen?»
Sie lächelte nachsichtig. «Das überlegen wir beim Frühstück. Erst mal gucken, ob Paul wirklich schon wieder fit ist.»
«Okay, ich besorge in der Stadt ein paar Brötchen. Dann kann ich mir im Präsidium auch gleich die Fußballerliste abholen. Mal sehen, wer sich alles so eingetragen hat. Das Kind hat jetzt übrigens endlich einen Namen: ‹ Euregio- Polizei - Fußballcup› oder ‹Politie›, da sind wir uns noch nicht einig.»
Ulli lachte. «Was hat denn die Euregio damit zu tun? Ich dachte, es geht um ein
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