Totenbeschwörung
sie einmal eine Affäre gehabt. Aber das war zu Ende gewesen, nachdem er herausgefunden hatte, dass es einen Rivalen gab – beziehungsweise gleich mehrere. Wenn sie jetzt beruflich miteinander zu tun hatten, waren sie vorübergehend noch immer ein »Paar«. Doch das war nur körperlich, mit Gefühlen hatte es nichts zu tun.
»Wir sind ein Stück weit vorwärts gekommen«, erklärte er ihr, »aber nicht weit genug. Morgen wollen die britischen ESPer noch einmal zu ihm, und es wäre unklug, sie daran zu hindern. Wenn wir noch ein paar mehr von unseren Leuten dahaben, können wir das immer noch tun. In der Zwischenzeit kann es nicht schaden, Schritt für Schritt vorzugehen, auch wenn es sich furchtbar zäh anlässt. Danach lassen wir Trask nur noch für jeweils eine Stunde pro Sitzung zu unserem Besucher und niemals ohne Bewachung. Dass er den Nachweis erbracht hat, dass es sich bei Nathan tatsächlich um einen Menschen handelt, war nur der Anfang – bisher scheinen unsere Tests seine Aussagen ja zu bestätigen. Wir müssen herausfinden, warum Nathan hier ist, ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt. Das hat jetzt oberste Priorität.«
»Du glaubst also nicht an einen Zufall?« Siggi setzte sich auf streckte die Arme hoch über den Kopf, was ihre Brüste betonte. Sie warf ihre platinblonde Mähne zurück und unterstrich damit den Schwung ihrer Wangenknochen. Wenn Tzonov sie so ansah, wünschte er sich beinahe, er hätte heute Abend keine anderen Verpflichtungen.
»Höchstwahrscheinlich handelt es sich um einen Zufall«, erwiderte er. »Aber wir gehen besser auf Nummer sicher! Weshalb sollte denn der Sohn – beziehungsweise ein Sohn – des Necroscopen Harry Keogh hier in Perchorsk auftauchen? Sag bloß, sie haben ihn aus Starside rausgeworfen? Oder ist er vielleicht gar kein Flüchtling? Vielleicht ist er ja nicht geflohen, sondern jemand hat ihn geschickt!? Und wenn das der Fall ist, warum? Und so weiter, die üblichen Fragen. Aber wir brauchen Antworten darauf ...«
Siggi hatte bereits ein oder zwei Stunden geschlafen. Ihr Nachthemd war aus weißem Chiffon, mit silbern schimmerndem Lamé durchwirkt und nahezu durchsichtig. Abermals ertappte Tzonov sich bei dem Gedanken, dass er heute Nacht gerne frei hätte. Aber das ging nicht, denn er musste sich um seine Soldaten kümmern. Ganz recht, seine Soldaten, ein ganzer Zug handverlesener Männer, die er über einen längeren Zeitraum hinweg hier eingeschleust hatte. Unter seiner Aufsicht würden sie ihr geheimes Waffenlager räumen und ihr Arsenal in ein sichereres, nicht ganz so leicht zugängliches Versteck auf einer der ungenutzten Magmasse-Ebenen unterhalb des Kerns schaffen. In ungefähr einer Stunde, wenn nur noch eine Handvoll Wissenschaftler Dienst hatte, konnte es losgehen.
Und bis dahin musste er noch ein paar Leute anrufen, unter anderem im Kreml, um Bericht über den heutigen Tag zu erstatten, aber auch in der Zentrale seines eigenen E-Dezernats auf dem Protze-Prospekt, um einen Sprachempathen anzufordern; dann noch ein bisschen Organisatorisches, und er hatte bis in die frühen Morgenstunden zu tun! Außerdem war er müde und hielt es für besser, seine Kraft zu schonen. Denn schon rein körperlich stellte Siggi einige Ansprüche. Hinzu kam, dass er etwas anderes mit ihr vorhatte ...
Normalerweise vermied es Sigrid Dam, die Gedanken ihrer Kollegen zu lesen, doch dieses eine Mal war sie neugierig, wie es in Turkur Tzonov aussah. Für gewöhnlich wirkte er wie ein Fels in der Brandung und war durch nichts zu erschüttern. Doch die Ereignisse der letzten Woche hatten wohl, wenn auch kaum merklich, an seinem Nervenkostüm gezerrt. Siggi war seine Vertraute, so etwas wie seine rechte Hand bei dem Plan, den er nun schon seit einigen Jahren verfolgte. Tzonov wollte den russischen Premierminister stürzen, die Macht an sich reißen und Russland mit Hilfe der bis dato ungenutzten Ressourcen einer fremden Welt wieder zu seiner alten Vormachtstellung verhelfen. Entscheidend für den Putsch war das Timing. Alles stand und fiel mit der Invasion in Starside. Wenn es so weit war, würde Tzonovs erster Zug darin bestehen, mittels eines nicht nachweisbaren Giftes Premier Turchin zu beseitigen. Zu diesem Zeitpunkt musste sein Sitz im Demokratischen Politbüro längst gesichert sein. Als Nächstes würde er sich, die übersinnlichen Talente des E-Dezernats im Rücken, selbst für das Amt des Premierministers vorschlagen. Der Ausgang der Wahl war nahezu sicher. Bis dahin wäre
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