Totenbeschwörung
südwestlicher Richtung zu durchqueren. Er gab Gas und pflügte durch die Schneeverwehungen wie ein Surfer, der auf dem Kamm einer endlos rollenden Welle reitet. Begleitet vom hypnotischen Zischen der Kufen flogen die Kilometer nur so dahin und schon nach kurzer Zeit erreichten sie den Waldrand.
Auf einer Lichtung brachte Tzonov den Motorschlitten neben einem Stapel Baumstämmen zum Stehen und stieg ab, um sich die Beine zu vertreten. Siggi kletterte ebenfalls von der Maschine und zündete sich eine Zigarette an. Tzonov war Nichtraucher. »Ist das eine amerikanische Marke?«, wollte er wissen. » Ha! Auf der einen Seite setzen sie uns zu, dass wir im ganzen Land keinen Müll mehr produzieren und etwas gegen die Umweltverschmutzung unternehmen, damit man endlich wieder frei atmen kann. Auf der anderen fordern sie uns dazu auf, unsere Lungen zu ruinieren! Was bringt es denn, das Land zu heilen, wenn man zur gleichen Zeit die Menschen krank macht? Das muss mir mal einer erklären! Na ja, nicht mehr lange und dieser ganze Mist wird verboten sein! Denk an meine Worte!« Er hatte schlechte Laune und konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.
Noch so eine Angewohnheit von mir, die er immer nur kritisiert hat!, dachte Siggi, behielt den Gedanken aber wohlweislich für sich. Laut sagte sie: »Ich rauche höchstens ein oder zwei Zigaretten am Tag, je nachdem, wie ich sie nötig habe, um meine Nerven zu beruhigen. Die Abfahrt über den Hang da hinten war ziemlich rasant.«
»Darauf stehe ich nun mal«, knurrte er. Seine Stimme klang wie ein Reibeisen. »Das törnt mich an. Für mich bedeutet es dasselbe wie für dich eine gute Nummer.« Harte Worte, und er hatte sie mit voller Absicht gewählt, um Siggi zu verletzen.
Er traute ihr noch immer nicht ganz. Nun, sei’s drum! Sie warf den Kopf in den Nacken und blickte weg, als er einen Flachmann aus der Tasche zog und daran nippte. Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie er ihr die Flasche anbot, doch sie schüttelte den Kopf. Mit einem Mal spürte sie erneut die Bedrohung, die von ihm ausging, und plötzlich war ihr klar, was sie hier draußen sollte, warum er sie mitgenommen hatte. Er wollte sie im Auge behalten, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Nein, er traute ihr noch lange nicht.
»Was ist?«, fragte sie, ohne ihn anzublicken.
»Sieh mich an!«
Sie wandte ihm das Gesicht zu und sah, dass sein Blick direkt auf sie gerichtet war. Seine Augen waren riesengroß und sahen sie durchdringend an. Falls die Geschwindigkeit ihn tatsächlich antörnte, hielt die Wirkung wohl immer noch an. Sie sah die Wölbung in seiner Hose. Etwas regte sich dort ...
»Nein, nicht so!« Seine Stimme war tief und kehlig. »Nicht mit der Schneebrille! Nimm sie ab!« Das war ungefähr so, als würde er sie auffordern, ihre Kleider abzulegen. Die Erinnerung an Nathan war noch nicht verblasst, und wenn sie tat, was Tzonov von ihr verlangte, würde der Russe alles sehen, was Nathan und sie gemacht hatten. Genau das wollte der Mistkerl! Er wollte zusehen, wie Nathan und sie ... Er wollte wissen, wer wen gevögelt hatte, und auf Nummer sicher gehen, dass sie ihn nicht an der Nase herumführte!
Siggi wich einen Schritt zurück. Sie schüttelte den Kopf. Rings um sie war nichts als Schweigen und die Einsamkeit des Waldes. »Du wirst nicht mehr in meinen Gedanken herumschnüffeln, Turkur. Nie mehr. Es gibt gewisse Dinge, die nur mir gehören. Sie sind privat! Oh, keine Sorge, wir machen immer noch gemeinsame Sache. Ich stecke viel zu tief drin, um mich von dir zu trennen. Aber von jetzt an ist unsere Beziehung nur noch rein geschäftlich. Wir sind gleichberechtigte Partner, nicht du der Boss und ich die Befehlsempfängerin.«
Seine Miene wurde hart. Er presste die Zähne zusammen, und mit einem Mal wirkten seine Augen, als würden sie ihr direkt in die Seele blicken. Doch das war eine Täuschung. In Wirklichkeit sah er nichts als ihre Schneebrille und die dahinter umherwirbelnden mentalen Nebelschleier. Langsam, bedächtig streckte er die Hand aus und zog ihr die Brille von der Nase. Zunächst sah er nur ihr blaues Auge und die Wut, die in ihrem Blick lag ...
Dann spürte er, wie Siggi ihm ihre Pistole in die Rippen drückte! Sie nahm ihm die Schneebrille aus den zur Reglosigkeit erstarrten Fingern und sagte: »Noch eins, Turkur! Hebe nie wieder die Hand gegen mich! Denn wenn du das tun solltest, glaub mir, dann revanchiere ich mich. Vielleicht damit!« Sie zielte mit der kleinen, dafür aber
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