Totenbeschwörung
umso bösartigeren Automatik mitten in sein drohendes Grinsen. »Möglicherweise aber auch mit etwas anderem, das mir gerade in die Hände fällt. Aber sei versichert, ich werde zurückschlagen!«
Sie setzte die Brille wieder auf und hielt die Waffe weiter auf Tzonov gerichtet, bis dieser sich allmählich mit ihren Bedingungen abfand. Was sollte er auch anderes tun? Im Augenblick blieb ihm gar keine andere Möglichkeit. Doch nachdem sie sich beide etwas beruhigt hatten und wieder auf dem Schlitten saßen, wurde Siggi beinahe übel, als sie einen flüchtigen Blick in den Geist des Russen erhaschte. Einen Moment lang war ihr, als sehe sie ein Bild vor sich Gestalt annehmen, das Bild einer Maschine – eines glänzenden, stählernen Vampirs, des Apparates, der Nathan eine solche Angst eingejagt hatte. An seinen Schläuchen hing ein zitterndes Opfer, dem langsam das Gehirn ausgesaugt wurde. Diesmal allerdings handelte es sich nicht um Nathan ...
VIERZEHNTES KAPITEL
Zweimal kreuzten sie die kurvenreiche Straße nach Kozvha. Beim ersten Mal sahen sie nur ein paar schwache Vertiefungen unter dem frisch gefallenen Schnee, doch beim nächsten Mal hoben sich die Spuren dunkel vom Weiß der Umgebung ab, wo die schweren Reifen den Schnee bis auf den Asphalt niedergepresst hatten. Lediglich ein paar vereinzelte graue Flocken begannen sie langsam wieder zuzudecken. Tzonov hatte eine veraltete Karte dabei. »Aber mein Gott«, sagte er sich frustriert, »seit dem Niedergang der Sowjetunion ist doch alles veraltet.« Er hielt kurz an, um einen Blick hineinzuwerfen. Zumindest kamen sie gut voran.
Er knurrte zufrieden und gab wieder Gas.
»In etwa vierzig Minuten sind wir in Kozvha«, gab er Siggi über die Schulter zu verstehen. »Von hier aus könnte ich genauso gut den Reifenspuren folgen, um den Lkw auf der Straße zu stellen. Aber wenn wir noch eine letzte Abkürzung nehmen, sind wir rechtzeitig im Dorf, um noch einen Happen zu essen und etwas Heißes zu trinken, während wir darauf warten, dass der Laster auftaucht. In der Zwischenzeit ... sollten wir unsere Meinungsverschiedenheiten begraben. Warum erzählst du mir nicht zu Ende, was du vorhin angefangen hast?«
Siggi machte es so kurz wie möglich. Sie konnte Tzonov ohnehin nur berichten, was sie selbst gehört beziehungsweise gesehen hatte. Sie wusste, dass Nathan ihr nicht alles offenbart und einiges zurückgehalten hatte, denn manche Szenen aus seiner Vergangenheit wirkten schlicht und einfach erfunden, andere hatte er mit Bedacht im Dunkeln gelassen. So hatte er Siggi nur einen flüchtigen Blick auf seine Mutter und die übrigen Menschen, mit denen er aufgewachsen war, gewährt, und seine Sandkastenliebe, die er schließlich geheiratet hatte, fand er lediglich einer kurzen Erwähnung wert.
Außerdem schien er eine gewisse Zeit bei einem Wüstenvolk verbracht zu haben. Doch darüber wollte er anscheinend überhaupt nichts preisgeben. Das Wenige, das Siggi davon mitbekommen hatte, war völlig konfus und kaum zu erkennen gewesen. Er hatte noch einiges andere für sich behalten, zum Beispiel alles, was die Siedlungen der Szgany betraf, und die Dörfer, in denen sie gelebt hatten, ehe die Wamphyri zurückkehrten. Abgesehen davon gab es nicht viel zu erzählen. Für Tzonov konnte sie es ja kaum so zum Leben erwecken, wie Nathan es für sie getan hatte.
»Nathan ist auf der Sonnseite aufgewachsen«, begann sie ihren Bericht. »Dort hatte er ein Mädchen, Misha, und sie schmiedeten Pläne für eine gemeinsame Zukunft. Doch als er achtzehn war, kehrten die Wamphyri zurück. Sein Stamm wurde überfallen und in alle Winde zerstreut, seine Freundin als Sklavin entführt. Das jedenfalls glaubte er. Also nahm er das Wanderleben wieder auf und wurde ein richtiger Traveller. Er verbrachte mehrere Jahre in der Wildnis, von Stamm zu Stamm ziehend, bis auch er den Wamphyri in die Hände fiel.
Sein Vampirlord war fasziniert von Nathans heller Haut und seinem blonden Haar. Das gibt es nicht oft unter den Szgany der Sonnseite. Also hielt er ihn sich als eine Art Maskottchen und verzichtete darauf, aus ihm einen Vampir zu machen. Irgendwann gelang es Nathan zu fliehen. Er schaffte es zurück zur Sonnseite, wo er sein Mädchen wiederfand. Sie war unversehrt und es ging ihr gut. Die beiden heirateten. Doch die Wamphyri verfolgten Nathan. Nachdem sie ihn wieder eingefangen hatten, warfen sie ihn zur Strafe in das Tor zu den Höllenlanden. So ist er hierher gekommen ...«
»Vorhin hast du
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