Totenbeschwörung
Seit wann es uns gibt, willst du wissen? Ich habe das Wappen der Ferengi in die Berge der Khorwatei gemeißelt gesehen – das ist einer der alten Orte. Und was für ein Wappen! Es ist genauso alt wie die Berge selbst!«
Nathan kannte das Wappen, von dem Vladi sprach. Es war in den hölzernen Rahmen des Wohnwagens geschnitzt, geschickt verborgen in den komplizierten, ineinander verwobenen Mustern, die das Gefährt zierten – ein Teufelskopf mit blutroten Augen, gespaltener Zunge und grinsenden Kiefern, aus denen Blut tropfte. Nathan verdrängte das Bild aus seinem Bewusstsein. »Der Khorwatei?«, fragte er. »Du meinst den Ort im Pass da hinten, von wo ich herkomme ... Perchorsk?«
»Was? Ach nein! Nicht Perchorsk! Dort gibt es nur Ahnungen, Nathan, und auch die noch nicht lange. Seit einem, vielleicht zwei Dutzend Jahren, wenn es hochkommt. Ahnungen, mein Sohn, aus denen nichts erwachsen ist. Ich dachte, dass vielleicht diesmal ...« Er zuckte die Achseln. »Aber es warst nur du!«
Nathan nickte. Alles passte irgendwie zusammen, ergab aber noch immer kein klares Bild. Nicht, dass es ihn sonderlich interessierte. Aber nun, wo er einmal angefangen hatte, konnte er genauso gut auch weitermachen. »Soll ich dir einen Namen nennen ?«
Der Stammesführer hob eine Augenbraue. »Aber immer!«
»Wamphyri!«
Das Wort hatte die gewünschte Wirkung. »Du bist ein Bote!« Vladi beugte sich vor und ergriff Nathan am Arm, so behände, dass er auf einmal viel jünger wirkte. »Du kommst von ihnen, aus einer anderen Welt! Sie haben dich geschickt! Der alte Ferengi ist tot – es lebe der Ferengi! Nun, rasch, sag mir: Was hat er dir aufgetragen? Was sollen wir tun? Und wann kommt er?«
Nun verstand Nathan. Vladi und sein Volk stammten von Gefolgsleuten der Wamphyri ab. Mit einem Mal bekam er eine Gänsehaut unter dem Blick und der Berührung des alten Mannes. Er durfte sich jedoch nichts anmerken lassen. Außerdem, was konnten sie schon dafür? Sie hatten ja keine Ahnung, auf was für ein Wesen sie da warteten, und wahrscheinlich gab es keine einzige Überlieferung, welche die wahre Natur der Kreaturen enthüllte, denen ihre Vorväter gedient hatten.
Nathan schob seine Skrupel für einen Moment beiseite und erlaubte sich einen Blick hinter die Stirn des alten Stammesführers. Dort sah er ...
... die Gestalt eines riesenhaften Mannes, der, die Hände in die Hüften gestützt, hoch aufragte und seine Güte verströmte. Zu seinen Füßen waren alle Traveller der ganzen Welt in ihren glänzenden, bunt bemalten Wagen versammelt. Unter seiner Obhut ging es ihnen so gut wie nie, und stolz wehte sein Banner im Wind – der Teufelskopf mit den blutroten Augen und der gespaltenen Zunge, aus dessen Kiefern Blut tropfte.
In diesem Licht besehen ... waren Vladi und sein Volk vielleicht doch nicht ganz so arglos, wie Nathan angenommen hatte.
»Du wartest auf den Ferengi«, sagte Nathan. Er wählte seine Worte sorgsam, mit Bedacht. »Ich kann dir nur so viel verraten. Er – sie – würden sofort kommen, wenn sie nur wüssten, dass sie entsprechend empfangen werden.« In gewisser Weise entsprach dies der Wahrheit, dessen war Nathan sich sicher. Doch bei sich dachte er: Nur leider halten sie diese Welt für die Hölle, und von mir werden sie garantiert nicht erfahren, wie es sich wirklich verhält!
»Ahhh!« Der alte Mann ließ Nathans Arm los und ließ sich auf der Bank, auf der er saß, gegen die Wand des Wagens zurücksinken. »Aber ... glauben sie etwa, wir hätten sie vergessen?« Einen kurzen Moment lang war der Blick seiner großen, schwarzen Augen leer, doch dann hellten sie sich wieder auf. »Die Ferengi würden dich doch gewiss nicht hierher schicken, wenn sie nicht die Möglichkeit besäßen, dich wieder zurückzurufen!? Wann gedenkst du zurückzukehren? Und wie? Von wo aus willst du uns verlassen, um den Lords die Nachricht zu überbringen, dass ihnen hier ein ehrenvoller Empfang zuteil werden wird?«
Bisher hatte Nathan sich mit einer Halbwahrheit beholfen. Nun musste er entweder Zuflucht zu einer glatten Lüge nehmen oder seine Worte zumindest so sorgsam wählen, dass seine wahre Absicht verborgen blieb. Doch da er nun wusste, dass diese Traveller den Wamphyri Gefolgschaft leisteten, sollte ihm das nicht allzu schwer fallen. »Es gibt Tore zwischen den Welten«, erklärte er. »Eines ist in Perchorsk, aber auf diesem Weg kann ich nicht zurückkehren. Darum sag mir: Wo liegen diese merkwürdigen alten Orte, von denen du
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