Totenbeschwörung
Stätte, ihre Spione, und noch ehe ein Jahr um war, wusste jeder in der Wrathhöhe, dass Nestor ein Nekromant war. Unterdessen wurde Canker Canisohn ein häufiger Gast in der Saugspitze und seine Freundschaft zu Nestor wuchs immer mehr.
»Ist es nützlich, dieses merkwürdige Talent, das du da hast?«, knurrte Canker eines Abends, als die Sonne endlich hinter den Gipfeln der Berge verschwand.
»Nun, irgendwann wahrscheinlich schon«, erwiderte Nestor.
Sie saßen in einem von Nestors privaten Gemächern, einem Gelass, das nach Süden ging und einen Blick auf das Grenzgebirge bot. Um diese Stunde saß Nestor gerne hier und sah zu, wie sich das Gold auf den Bergspitzen in Grau verwandelte. Selbst in den Stunden vor der Morgendämmerung pflegte er hier zu sitzen und dem Sonnenaufgang zuzusehen. Doch lange bevor die ersten Strahlen auf die Sternseite herabstechen konnten, wurden die Vorhänge zugezogen und Nestor verschwand dahin, wo es sicherer war.
»Aber wie stellst du es eigentlich genau an?«, wollte Canker wissen. »Ich meine zur Zeit, im Augenblick?«
Nestor zuckte die Achseln. »Im Augenblick ... experimentiere ich nur ein bisschen herum.«
»Du sprichst mit den Toten? Und es ist einfach so über dich gekommen? Auf einmal konntest du mit ihnen reden?«
»Ach ... nein«, entgegnete Nestor. »Beim ersten Mal hat eine Tote zu mir gesprochen! Nur dass sie untot war! Seitdem ... nun, die Toten würden kein einziges Wort mit mir wechseln, wenn ihnen eine andere Wahl bliebe.«
»Eine Untote, sagst du?« Canker runzelte die Stirn, über der Hundeschnauze stießen die roten Augenbrauen aneinander. »Wie konntest du dir dann sicher sein, dass es mit deinem Talent zusammenhing? Schließlich ist eine Untote nicht wirklich tot!«
»Sie war eine Sklavin«, erwiderte Nestor. »Lediglich eine Vampirin, noch keine Wamphyri. Ich war damals noch zu ... unerfahren und hatte zu viel von ihr getrunken. Dennoch konnte sie nur Wamphyri werden, wenn ich es auch zuließ. Dies habe ich nicht getan! Sie verfügte über keinerlei Mentalismus, jedenfalls nicht, dass jemand davon gewusst hätte, trotzdem sprach sie in Gedanken zu mir! Sie war tot, Canker, doch als ich sie berührte, erkannte sie mich und sagte, ich hätte sie umgebracht! Damit hatte sie natürlich recht, ich konnte sie unmöglich am Leben lassen.«
»Und dann?«
»Ich habe dafür gesorgt, dass sie ausgelöscht wurde. Bei Sonnauf ließ ich sie auf den höchsten Felsspitzen der Sonne aussetzen. Das war ihr Ende! Mehr noch, es setzte auch allem, was noch an Mitleid in mir vorhanden war, ein Ende. Erst danach war ich wirklich ein Wamphyri im eigentlichen Sinn. Denn tief im Innern sind wir eiskalte Kreaturen, Canker, und bis dahin war ich nicht kalt – jedenfalls nicht völlig.«
»So kalt sind wir doch gar nicht«, widersprach Canker. »Mitunter entwickeln wir sogar eine richtige Gluthitze! Aber wir wissen, was getan werden muss und wie wir es tun müssen, und zwar ohne viel Aufhebens! Wir sind Meister im Überleben, Nestor!«
»Ohne Gefühl, ohne Sinn und Verstand? Was nützt es denn zu überleben, wenn man darüber zum Stein wird?«
»Aus dir spricht dein Egel«, bellte Canker. »Es kann gar nicht anders sein! Du spielst mit Worten, und dein Parasit bestimmt, welche Richtung sie nehmen. Mittlerweile weißt du ja sicher, dass wir manchmal, wenn uns die Lust dazu überkommt, nur um des Streitens willen streiten. So wie jetzt! Aber was heißt schon ohne Gefühl? Ohne Sinn und Verstand? Meinst du etwa die Wamphyri? Willst du das damit sagen? Du weißt gar nichts! Aber ich glaube, ich weiß, woher der Wind weht, mein Junge! Du musst dir selbst eine Chance geben! Du glaubst, du hättest schon alles gesehen. ›Ist das alles?‹, fragst du dich. ›Steckt nicht mehr dahinter? Den ganzen Tag lang Blut trinken bis in alle Ewigkeit und dabei weder alt noch weise werden, sondern einfach wie die Made im Speck in den Tag hineinleben?‹ Oder meinetwegen auch wie ein fett gefressener Egel in seinem Teich! Ha! Aber keine Sorge, Canker kennt die Antwort darauf!«
»Eben haben wir uns noch über Nekromantie unterhalten«, seufzte Nestor, »und nicht darüber, was mich bedrückt!«
»Was dich bedrückt, ganz recht«, bellte der Hunde-Lord. »Das ist das richtige Wort dafür! Du hast ja immer schon zum Trübsinn geneigt, und jetzt auch noch diese Nekromantie! Was bringt es denn, sich mit den Toten zu unterhalten? Ha! Ich kann darin keinen Sinn sehen! Was können sie dir überhaupt
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